Bittersüß wie Yerba Buena
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CW: Drogenmissbrauch, sexuelle Gewalt
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Nina LaCours Roman Wilde Minze begleitet die Lebensgeschichten der Frauen Sara und Emilie, die durch eine zufällige Begegnung im Szenenlokal „Yerba Buena“ – benannt nach der titelgebenden Minzart – zueinander finden und in ihrer Liebesbeziehung Heilung erfahren. Obwohl der Klappentext die Liaison zwischen Sara und Emilie in den Fokus rückt, stellt sich bei der Lektüre heraus, dass der eigentliche Schwerpunkt des Romans auf einer teils chronologischen, teils achronologischen Coming-of-Age-Erzählung mit zwei Handlungssträngen liegt. Die Lesenden erfahren von Saras und Emilies prägenden Jugenderlebnissen, die ihre spätere Beziehung formen werden.
Auf den Schultern der 17-jährigen Sara lastet die Trauer um ihre verstorbene Mutter und das Wissen um die Drogengeschäfte ihres Vaters. Die Jugendliche kümmert sich aufopferungsvoll um ihren jüngeren Bruder Spencer, der das gleiche Schicksal teilt. Die junge Frau findet Trost bei ihrer ersten großen Liebe Annie, die jedoch bald selbst den gefährlichen Substanzen zum Opfer fällt und tot aus dem örtlichen Fluss geborgen wird. Sara verliert den Boden unter den Füßen, als ihre Familie sie in diesem schweren Moment im Stich lässt. Ihr bleibt keine andere Wahl, als Spencer und die Grauen der Kleinstadt hinter sich zu lassen und einen Neuanfang, ja eine Flucht nach Los Angeles zu wagen.
In eben dieser Metropole wächst Emilie als Tochter einer wohlhabenden kreolischen Familie auf, verharrt dabei jedoch stets im Schatten ihrer drogenabhängigen Schwester Colette. Als Studentin steht Emilie oft am Rande des Familiengeschehens und hadert mit ihrer beruflichen Zukunft und ihrem Liebesleben. Nach einer gescheiterten Beziehung mit ihrer ehemaligen Dozentin Olivia und dem verheirateten Jacob spürt Emilie eine tiefe Leere. Doch in ihrem Nebenjob als Floristin blüht sie auf und begegnet bei einem Auftrag in der Bar Yerba Buena der Barkeeperin Sara, die sich inzwischen eine erfolgreiche Karriere in ihrem Metier aufgebaut hat. Beide Frauen spüren von der ersten Sekunde an eine besondere Anziehung – ihre erste gemeinsame Nacht wird ihrer beider Leben für immer verändern.
„In der Stille des Morgens, unter der Reihe aus goldenen Leuchten, das Sonnenlicht auf die Marmorplatte fallend, mixte sie einen Yerba Buena.“
Besonders hervorzuheben sind Nina LaCours feine und bildliche Worte, welche die Ambivalenzen zwischen der Ästhetik des Alltags und der harten Realität einfangen. Inmitten der Schicksalsschläge ist es die Faszination für die kleinen Wunder der Natur und für die Düfte der Kräuter an der Bar, die neue Verbindungen schafft und Emilie und Sara zusammenführt. Nichtsdestotrotz ist die Content Warnung nicht zu unterschätzen, denn sowohl LaCours poetische Sprache als auch die Aufmachung des Buches stehen in starkem Kontrast zu den expliziten Schilderungen rund um sexuelle Gewalt und die Bergung von Annies Leiche.
Zwar greift der Roman gesellschaftlich hochrelevante Themen auf und leistet einen Beitrag zur queeren Repräsentation in der Literatur, doch leider kommen zentrale Aspekte der Handlung rund um die Liebesgeschichte der Protagonistinnen zu kurz. Nach über einem Drittel des Buches begegnen sich die beiden Frauen, um sich bis zum nächsten Drittel aus den Augen zu verlieren. Auch wenn sich der Roman in der Zwischenzeit auf andere spannende Facetten im Leben der einzelnen Protagonistinnen konzentriert, hätte eine detailliertere Schilderung des Kennenlernens zwischen Sara und Emilie der Liebesbeziehung mehr Tiefe verliehen und deren Bedeutung für ihre Lebenswege weniger konstruiert erscheinen lassen.
Im Großen und Ganzen lässt Nina LaCours Roman sprachlich und inhaltlich ein wenig hoffnungsbringendes Grün inmitten des harten Asphalts, ja dem trostlosen Boden der urbanen Drogenszene sprießen, doch dringen LaCours Worte dabei nicht immer durch alle Risse im Beton, an denen es nötig wäre.
von Elisa-Maria Kuhn
Nina LaCour
Wilde Minze
Aus dem Englischen von Yasemin Dinçer
Ullstein 2023
336 Seiten
22,99 Euro
ISBN 9783550201783