Gaea Schoeters – Trophäe
Gaea Schoeters – Trophäe

Gaea Schoeters – Trophäe

Jäger und Gejagte

CW: Jagd, Tod, sexualisierte Gewalt

„Der Knall des Schusses zerreißt die morgendliche Stille“

Gaea Schoeters’ Roman Trophäe wurde von der Kritik gefeiert und zu den wichtigsten Erscheinungen des letzten Frühjahrs gezählt. Doch was haben die Kritiker*innen übersehen? Hunter White ist Großwildjäger und sein Name ist Programm: Als Stereotyp des weißen Jägers begreift er Afrika einzig und allein als seinen persönlichen Vergnügungspark, wo er endlich seine „Big Five“ erlegen möchte. Das letzte Tier, das ihm dafür noch fehlt, ist ein Spitzmaulnashorn. Die Verfolgungsjagd beginnt.

„Das ist mein Nashorn. Und meine Jagd“

Schließlich hat Hunter eine ganze Stange Geld für seine Jagdlizenz bezahlt. Aber er ist zu langsam: Wilderer sind auf die Spur des Nashorns gekommen und haben ihm das Tier vor der Nase weggeschnappt. Hunter ist außer sich. Bei der Jagd geht es ihm nicht um die Trophäe, sondern um das Kräftemessen mit einem Tier, das dem Menschen in fast allen körperlichen Aspekten überlegen ist. Doch was jetzt, wo Hunters Nashorn tot ist? Sein Jagdleiter bietet ihm eine noch viel exklusivere Beute als das Spitzmaulnashorn an. Es geht nicht mehr um die „Big Five“, sondern um die „Big Six“ – und so wird die Nashornhornjagd zu einer Menschenjagd…

„Eine physische, fast erotische Erregung durchfährt Hunter“

Trophäe ist zweifellos ein glänzender Roman. Er lässt die Grenze zwischen Tier und Mensch verschwimmen und deckt so Hunters zunächst einleuchtende Logik der Jagd zum Artenschutz auf. Denn nur wenn einem Tier durch die Jagdlizenz ein gewisser Wert zugeschrieben wird, lohnt sich auch sein Schutz – so die Erklärung Hunters. Schoeters führt diesen Gedanken konsequent bis zum Ende fort und ergründet so nicht nur die menschliche Psyche, sondern demaskiert den angeblichen Artenschutz als das, was er ist: ein „perverses Reiche-Leute-Hobby für mordlustige Psychopathen“. Dabei besticht die Autorin mit Hunters ambivalenter Darstellung sowie mit der Handlung, die eine unwiderstehliche Sogwirkung entfaltet und bis zum Ende an die Geschichte fesselt. Auch die Übersetzung von Lisa Mensing ist grandios. Besonders ihre zweideutige Wortwahl, die immer wieder die Jagd mit dem erotischen Begehren verbindet und Hunters Vorstellung von der Jagd als eine verquere Art der Männlichkeit offenbart, ist beeindruckend. Dafür wurde das Buch zu Recht von der Kritik gefeiert. Doch was wurde übersehen?

„Du musst beweisen, dass du dieser Jagd würdig bist”

Anscheinend haben die Kritiker*innen den Roman nur bis zur Hälfte gelesen – dieser Eindruck entsteht zumindest bei dem uneingeschränkten Lob vieler Kritiken. Zum einen tauchen immer wieder kleinere Logik- und Anschlussfehler auf, die im Lektorat hätten ausgemerzt werden können. Zum anderen ist der Roman in der zweiten Hälfte nicht mehr der Pageturner, als der er begonnen hat, und die Handlung wird nicht mehr so stringent und konsequent vorangetrieben. Bevor Hunter nämlich die Menschenjagd beginnen kann, muss er sich erst vor dem Stamm als würdig erweisen, zu dem seine neue „Beute“ gehört. So wird eine Sidequest zwischengeschoben, die nicht nur das Tempo verlangsamt, sondern auch die Spannungskurve merklich abflacht. Und als es dann endlich mit der Haupthandlung weitergeht, wird der anfängliche Lesesog nicht wieder erreicht. Hunter beginnt nämlich zu dehydrieren und seinem Fährtenleser zu misstrauen. Seine Wahnvorstellungen, die ihn immer wieder in seine Kindheit, zu der Jagd mit seinem Großvater zurückversetzen, vermischen sich mit der Realität. Was ein oder zweimal ein passender Gedanke wäre, wird so oft in leicht variierter Form durchdekliniert, dass der Eintritt des herausgezögerten Endes einen endlich aufatmen lässt.

„Weiße Männer machen im Busch dumme Sachen”

Was ein außerordentlicher Roman hätte werden können – Schoeters beweist in der ersten Hälfte zweifellos ihre herausragenden Fähigkeiten – bleibt so eine grandiose Grundidee, deren Durchführung in großen Teilen, aber eben nicht ausnahmslos geglückt ist. Trotz der Defizite ist Trophäe ein eindrücklicher Roman, der gespannt auf die nächsten Veröffentlichungen der flämischen Autorin warten lässt.

von Lavinia Richter

Gaea Schoeters
Trophäe
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Zsolnay 2024
256 Seiten
24,00 Euro
ISBN 978-3-552-07388-3
(Eigenexemplar)

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