Ewald Arenz – Zwei Leben
Ewald Arenz – Zwei Leben

Ewald Arenz – Zwei Leben

„Ein Baum sucht sich nicht aus, wo er wächst.“

CW: Tod

Roberta möchte nach ihrer Lehre zur Schneiderin in der Stadt eigentlich nicht in ihr kleines Heimatdorf Salach zurückkehren. Die junge Frau sehnt sich nach der großen weiten Welt, nach bunten Stoffen, wundervollen Kleidern. Sie sehnt sich nach Paris oder für‘s Erste vielleicht auch einfach nach Österreich oder Italien. Egal wohin, Hauptsache nicht zurück.
Und trotzdem kann sie dem Ruf ihrer Familie nicht entfliehen. Irgendjemand muss die Eltern schließlich bei der harten Arbeit am Hof unterstützen und als Einzelkind hält sie die Verantwortung für ihre Familie fest im Griff.       
Doch zum Glück ist da Wilhelm, ihr bester Freund aus Kindertagen, der die unfreiwillige Rückkehr in das Dorf und den bäuerlichen Hofalltag für Roberta etwas leichter macht.

Wilhelm, der Schmetterlinge in Robertas Bauch zaubert, Leichtigkeit in ihr Leben bringt und Licht dorthin, wo Salachs Kleinbürgerlichkeit jede Freude überschattet.

Und dann ist da noch Gertud, Frau des Dorfpfarrers und Wilhelms Mutter, die in Salach nie eine Heimat gefunden hat und sich unter den anderen Dorfbewohner*innen immer fremd fühlt.

Beide Frauen teilen, ohne voneinander zu wissen, denselben Wunsch, Salach den Rücken zu kehren. Doch schon bald sind ihre Schicksale durch eine Reihe schwerwiegender Entscheidungen fester miteinander verwoben, als sie es je vermutet hätten.

„Sie wusste wieder, warum sie nicht mehr in Salach leben konnte. Weil es dort war, als säße man im dritten Rang im Theater und könnte alles Leben nur durch ein Opernglas betrachten; weit entfernt und niemals echt genug.“

In seinem Werk Zwei Leben gelingt es Arenz, mit den sanftesten Worten eine Welt voller Gegensätze zu zeichnen. Irgendwie verträumt und idyllisch wirkt Salach wie das Bilderbuchdorf für den Sommerurlaub und doch schnüren sich die Beschreibungen des Dorfes in seiner einengenden Natur beim Lesen wie Fesseln um das eigene Herz.

Mit Roberta, Wilhelm und Gertrud schafft Arenz nahbare und tiefgründige Charaktere, die die Leser*innen an die Hand nehmen und in ihre Lebenswelt einladen. Äußerst bemerkenswert ist vor allem die feministische Haltung, mit der Roberta und Gertrud den Hindernissen in ihrem Alltag begegnen und hinter den eigenen Entscheidungen stehen. Auch wenn die Geschichte im Jahr 1971 angesiedelt ist, überrascht die Tatsache, wie selbstverständlich die beiden Frauen für ihre Selbstbestimmung trotz des eher dörflichen und konservativen Umfelds der Handlung einstehen.

Besonders der behutsame und bewusste Umgang des Autors mit der Sprache fällt beim Lesen des Romans auf. Zweifellos beweist Arenz hier seine Fähigkeit als Meister der schönen Worte, somit trifft die Bezeichnung eines „schönen Buches“ auf wenige Werke und dessen Sprache so sehr zu, wie auf dieses hier.   
Vielleicht genau deswegen scheint sich Arenz manchmal ein wenig im deskriptiven Charakter seiner eigenen Worte zu verlieren. So baut sich die Handlung erst ab dem zweiten Drittel des Buches wirklich auf. Der*die Leser*in hat dadurch zwar genug Zeit, sich auf den ersten 100 Seiten ein ausführliches Bild von Salach und den Bewohner*innen zu machen, trotz dessen hätte es dem Roman keinen Abbruch getan, die Handlung schon ein wenig früher einsetzen zu lassen.

Nichtsdestotrotz ist Arenz mit Zwei Leben ein wundervolles Werk gelungen, das besonders durch die liebevolle Gestaltung der Charaktere glänzt. Die Erzählung rund um Roberta und Gertrud berührt dabei auf eine Art und Weise, die lange nachhallt und den Abschied aus Salach unerwartet schwer werden lässt.

von Margherita Ragucci

Ewald Arenz
Zwei Leben
Dumont 2024
368 Seiten
25 Euro
ISBN: 978-3-8321-8205-2

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