Pascale Lacelle – Curious Tides
Pascale Lacelle – Curious Tides

Pascale Lacelle – Curious Tides

Ein Inbegriff von Mystik, Düsterkeit und Fantasy

CW: Angststörung, Body-Horror, Branding, Depressionen, Gewalt, Menschenexperimente, Missbrauch von (magischen) Substanzen, Mord, Nahtoderfahrung, Panikattacken, Selbstverletzung, Tod, Trauer, Traumata

Emory Ainsleif fühlt sich allein. Seitdem ihre beste Freundin Romie im Frühjahr bei einem schlimmen Unglück in den Fluten vor Dovermere ertrunken ist, befindet sich die 19-jährige Collegestudentin in einem Strudel von Schuldgefühlen, Einsamkeit und unbeantworteten Fragen. Denn nicht nur die Frage nach dem Warum quält Emory, sondern ebenso die Tatsache, dass neben Romie sieben weitere Student*innen der Mondakademie Aldryn in dieser Nacht ums Leben kamen. Sie alle waren Teil eines magischen Rituals in der Höhle von Dovermere, welches ihnen die Macht der Gezeiten und damit die Aufnahme in einen geheimen Orden sichern sollte. Aber stattdessen kostete es sie das Leben. Nur eine Überlebende hatte es in dieser Nacht gegeben – Emory. Die Besonderheit: Obwohl die Studentin nicht einmal Teil des Rituals gewesen ist und nur durch Zufall ihrer Freundin folgte, erhält sie in dieser Nacht den Schlüssel zu ihrer wahren Identität – sie ist eine Gezeitenruferin und beherrscht damit die mächtigste sowie seltenste Form von Mondmagie in ganz Aldryn.

„Es spielte keine Rolle, wie man es nannte, sie war die Einzige ihrer Art.“

Pascale Lacelles Debütroman ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Erzählung, Dark-Academia-Fantasyroman und Held*innenreise. Dabei ist das fiktive Buch Das Lied der ertrunkenen Götter von zentraler Bedeutung, welches nicht nur als Rahmenhandlung des Romans fungiert, sondern ebenso visuell in den Farbschnitt des Buchs eingearbeitet ist. Darunter fallen weitere fünf Zwischenkapitel, in denen die Legende über die Ursprünge der Gezeiten als Bruchstücke des fiktiven Werks auf nachtschwarzen Seiten abgebildet ist. Die Handlung wird somit nicht nur inhaltlich unterstützt, sondern ebenso gestalterisch untermalt. Eine weitere Komponente, die Lacelles Curious Tides in dieser Schmuckausgabe so besonders macht, ist die detailreiche Karte auf den Innenseiten des Einbands, die die Welt von Aldryn für Leser*innen greifbarer macht.

In fünf Abschnitten (exklusive Epilog) folgt der erste Teil der „Gezeiten-Dilogie“den Figuren abwechselnd aus den Perspektiven von Emory und Baz, Romies Bruder, auf ihrem Weg, dem mysteriösen Verschwinden ihrer Freundin bzw. Schwester auf den Grund zu gehen. Bei der Suche nach Romie stoßen die beiden schließlich auf die dunklen Machenschaften und Intrigen eines elitären Geheimbundes: dem Selenischen Orden.

„Es sind immer die ruhigsten Gemüter, in denen die schlimmste Art von Gewalt steckt.“

Obwohl die Protagonistin anfangs nur Teil des Ordens werden will, um herauszufinden, worin ihre beste Freundin verstrickt wurde, verliert sie aufgrund des charmanten Keiran Dunhall Thornby und dem Gefühl des „Endlich-Dazugehörens“ in einer elitären Vereinigung allmählich die Bodenhaftung. Lacelles weibliche Hauptfigur ist kein Charakter, der Leser*innen leicht sympathisch wird. Emory Ainsleif ist durchaus fehlbar, leicht zu beeindrucken und in vielen Momenten auch genauso auf ihren eigenen Vorteil bedacht. So nutzt sie beispielsweise Baz‘ Gutmütigkeit und dessen jungenhafte, seit Kindertagen andauernde Zuneigung zu ihr aus, um sie im Umgang mit ihren neuerlangten Fähigkeiten zu unterstützen. Baz hingegen scheint der eigentliche Held der Geschichte, da er über sich hinauswächst und im Lauf der Handlung an Selbstbewusstsein und Widerstandsfähigkeit gewinnt. Dennoch erfährt auch Lacelles weibliche Protagonistin letztendlich eine gelungene, wobei auch bitter nötige Charakterentwicklung. Ihr „redemption arc“ braucht demnach eine Weile, um Leser*innen von sich zu überzeugen.

Nach Dunkelheit Licht; immer wieder.“

Auch wenn die Handlung anfangs etwas schleppend einsetzt, gewinnt das Buch die Lesenden durch seine überzeugend dunkle mystische Atmosphäre und die gut durchdachten Figurenkonstellationen – insbesondere die zwischen Kai und Baz sowie Baz und Emory. Etwas Gewöhnung verlangt mitunter das intensive Worldbuilding und die Terminologie, welche an manchen Stellen nicht nur ziemlich langwierig erscheinen, sondern der Story – insbesondere aufgrund fehlender Dialoge – teilweise auch die Dynamik nehmen. Auch die Sequenzen aus dem fiktiven Buch wirken größtenteils ziemlich abstrakt, fast schon absurd, die Leser*innen womöglich etwas mit der Geschichte hadern lassen. Zwar ein nettes Gimmick, welches die ganze Handlung sowie die Charaktere in ihren Etappen begleitet; in manchen Ausführungen dennoch etwas unstet und weit hergeholt. Nichtsdestotrotz überzeugt Curious Tides trotz seiner Kritikpunkte mit der wohl durchdachten Storyline, den nahbaren Charakteren sowie der generellen magischen Atmosphäre des Buches. Insbesondere gegen Ende häufen sich die Wendungen, die der Jugendroman zwar bereits in der ersten Hälfte hätte vertragen können, die Geschichte aber noch einmal wie eine Flutwelle in die Höhe schießen lässt. Die thematischen Schwerpunkte Selbstakzeptanz, Freundschaft und der Versuch, sich selbst zu finden, bereichern die Handlung darüber hinaus. Stellenweise erinnert Lacelles Storyline nicht nur an Geschichten wie Julia Kuhns Ravenhall Academy (siehe Heftausgabe #72), sondern auch Kerstin Giers Edelstein-Trilogie. Insgesamt bildet Curious Tides demnach einen gelungenen Auftakt der „Gezeiten-Dilogie“, dessen Fortsetzung schon am 25.06.2025 in den Handel kommt!

von Kristina Steiner

Pascale Lacelle
Curious Tides
Aus dem Englischen von Bea Reiter
Fischer Sauerländer 2024
656 Seiten
22,90 Euro
ISBN: 978-3-7373-4375-6

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