„Ich bin, was ich bin“
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Im Juni, dem Pride-Month, feiert das Staatstheater Nürnberg die Premiere des Musicals La Cage aux Folles in der deutschen Übersetzung von Helmut Baumann und Erika Gesell. Ursprünglich als französisches Theaterstück von Jean Poiret 1973 uraufgeführt und mit viel Begeisterung aufgenommen, wurde der Stoff daraufhin 1979 als Film einer italienisch-französischen Produktion in den USA bekannt. Alfred Carr, inspiriert von einer französischen Theateraufführung des Stücks, entwickelte La Cage aux Folles als Musical mit Jerry Herman als Komponisten und Harvey Fierstein als Autor. Den meisten dürften die Geschichte allerdings unter der Verfilmung The Birdcage von 1996 mit Robin Williams bekannt sein. La Cage aux Folles verzeichnete in jeglicher Form hohe Publikumszahlen und der Erfolg drückte sich auch in den drei Nominierungen und sechs Auszeichnungen der Tony Awards 1984 für die Broadway-Produktion aus.
Dieses Stück, mit einer so breiten wie erfolgreichen Geschichte, erstrahlt nun im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg und führt auch hier die Tradition des begeisterten Publikums weiter – so viel sei vorangestellt.
„Ein Leben kann man nur einmal leben, warum soll es für mich keine Chance geben?“
La Cage aux Folles ist der titelgebende Drag-Club in St. Tropez, geführt von Georges (Martin Berger) dessen Partner Albin (Gaines Hall) seit 20 Jahren der Star des Clubs ist: Zaza mit ihren Cagelles! Als Georges‘ leiblicher Sohn Jean-Michel (Fabio Kopf), den die beiden gemeinsam großgezogen haben, verkündet, dass er heiraten wird und die konservativen Eltern (Thorsten Tinney und Kira Primke) seiner Verlobten Anne (Anna Hirzberger) für ein gemeinsames Kennenlernen zu Besuch kommen, verlangt Jean-Michel, dass seine Eltern den Schein einer heteronormativen Ehe vorgaukeln, damit die Schwiegereltern in spe der Verlobung zustimmen. Ein Makeover der konservativen Art für die Wohnung über dem Club steht an – weg muss Dekor wie die riesige goldene Penisstatue und weg muss auch der zweite Vater?
Unter der Regie von Melissa King erzählt La Cage aux Folles (dt. Ein Käfig voller Narren) von Familie, Liebe und Gemeinschaft. Wie Wertvorstellungen die Gesellschaft und unsere Beziehungen bestimmen, wird aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet. Identität ist das Sujet, das, ausbalanciert von der humorvollen und fröhlichen Atmosphäre des Stücks, zur tieferen Reflexion einlädt. Von Scham zu Stolz, von externer Ablehnung zur Selbstakzeptanz – durch all diese Facetten führt La Cage aux Folles! Über die kurzweilige, unterhaltsame Stimmung wird jedoch nicht die tiefere Ebene der LGBTQIA+-Rechte in den Hintergrund gerückt, sondern die Nürnberger Inszenierung lässt in der finalen Nummer des Musicals Flyer für die diesjährige Demo des Christoper Street Days in Nürnberg auf das Publikum regnen. Diese direkte Verknüpfung zwischen Unterhaltung und Realität ist lobenswert – gerade angesichts aktueller queerfeindlicher Entwicklungen.
„Wir leben, wie es kommt, manchmal süß und manchmal bitter, leben mit viel Mut und einer Menge Glitter.“
Stephan Prattes konzipierte das Bühnenbild sowie die Kostüme und hat damit eine volle Glanzleistung geliefert. Die Tapete mit roten und regenbogenfarbenen Herzen sowie Penissen und Vulven bietet die Leinwand für sämtliche (auch aufwendigere) Umbauten der Bühne und finden sich ebenfalls in den Kostümen der Hauptdarstellenden wieder. Das vermeintlich heterosexuelle Design-Makeover erinnert an eine Vampirhöhle und auch Anne erinnert in ihrer Erscheinung eher an Wednesday Addams als an die Tochter eines erzkonservativen Politikers. Lediglich das Kostüm Jean-Michels aus kurzer Hose, Fußball und aufgeschlagenem Knie wirkt etwas zu kindlich für die 24 Jahre, die er verkörpern soll. Auch wenn das vielleicht eine Anlehnung an sein Lied Mit dir im Arm sein soll, in dem er Georges im Rahmen seiner Nachricht über die Verlobung deklariert, dass er mit Anne im Arm ein erwachsener Mann ist.
Absolut umwerfend jedoch sind die Kostüme der Drag Queens: selbstverständlich von Zaza, aber auch von jeder einzelnen Cagelle. Die Drag-Queens um Zaza herum glänzen mit diversen Gesangs- und Tanzeinlagen – vom Stepptanz zur Akrobatik ist alles dabei. Die Kostüme der diversen Nummern sind so unterschiedlich und zeigen jedes Mal auch innerhalb der neun Cagelles (Alan Byland, Anneke Brunekreeft, Johan Vandamme, Rhys George, Alessandro Ripamonti, Ellie van Gele, John Baldoz/Jan Eike Majert, Christopher Bolam und Christopher Tim Schmidt) ein kreatives Spektrum auf. Besonders beeindruckend ist Zazas Auftritt in einem Kleid, dessen üppiger Rock aus lauter Herzen und Tüll sich als ein Reif Cagelles entpuppt. Solche optischen Tricks entfalten auf der Bühne ihre volle Wirkung. Die im weiteren Verlauf entwickelte Nummer, in der Emojis der visuelle Fokus sind, wirkt im Vergleich zum sonst so aufwändigen Bühnenbild etwas einfach, aber besagtes rotes Herzkleid aus Cagelles macht das wieder wett. Die wohl stärksten Reaktionen des Publikums werden den Kostümen von Jacob (Terry Alfaro), dem von Georges eingestellten Butler, zuteil, der sich allerdings eher als Zazas Zofe sieht und von seinem eigenen Durchbruch als Drag-Queen träumt. Die Rolle ist klar als Comic Relief gedacht, würdigt sich aber nie selbst herab – eine dankbare Interpretation, gerade bei einer queeren Figur. Im Finale des Musicals lässt ein Standbild der ereignisreichen Restaurantszene eine Referenz an da Vincis Das letzte Abendmahl anmuten – ob intendiert oder nicht, allenfalls ein weiteres Zeugnis für die gelungene Choreografie.
Melissa King holt das Stück der 80er Jahre subtil in die Gegenwart: Einmal enthüllen die Kostüme der Cagelles die politischen und wirtschaftlichen Widersacher*innen von LGBTQIA+-Rechten wie Elon Musk oder Alice Weidel, ein anderes Mal brechen die Cagelles Backstage in Lady Gagas Abracadabra aus, das erst im Februar 2025 erschien und wie so viele von Gagas Songs zu einem Hit der queeren Community wurde. Begleitet werden die mittlerweile längst über das Stück hinaus bekannten Lieder wie Ich bin, was ich bin vom Orchester der Staatsphilharmonie Nürnberg und umhüllen La Cage aux Folle musikalisch zur Vollendung. Für das schillernde Musical, das auf einer tieferen Ebene auch zur Reflexion über queere Rechte anregt, ist folglich eine Empfehlung auszusprechen!
Weitere Aufführungen finden am 26.06., 30.06., 08.07., 13.07., 18.07., 20.07., 29.07. und 30.07.2025 im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg statt.
von Michaela Minder






Bilder: @Staatstheater Nürnberg / Ludwig Olah