Burhan Qurbani – Kein Tier. So Wild.
Burhan Qurbani – Kein Tier. So Wild.

Burhan Qurbani – Kein Tier. So Wild.

„Waten Frauen nicht immer durchs Blut?“

CW: Bildliche Darstellung von Blut, Drogenkonsum, Gewalt, Mord, Nacktheit, sexuelle Handlungen, Suizid, Tod, Waffen

Zwei Familien sind es, die sich bekriegen. Manch eine*r wird in ihrer Darstellung das Shakespeare’sche Stück „Richard III.“ erkennen. Regisseur Burhan Qurbani versetzt das Setting in das heutige Berlin und macht aus den Yorks und den Lancasters sich rivalisierende Clans arabischer Herkunft, die im Berliner Untergrund um die Vorherrschaft kämpfen. Der Film Kein Tier. So Wild. war zuletzt am 25.06.2025 im Lichtspiel Kino in Bamberg zu sehen.

Im Zentrum der Geschichte steht Rashida (Kenda Hmeidan), die in den vordersten Reihen der Clan-Geschehen mitmischt, als Frau jedoch im Schatten ihrer Brüder und den männlichen Wortführern steht. Nach einer blutigen Auseinandersetzung vor Gericht soll zwischen den Familien für Frieden gesorgt werden, wofür Rashida, eine geborene York, mit Ali Lancaster (Ibrahim Al-Khalil) von der Gegenseite verheiratet werden soll. Rashida hingegen, die schon zu Beginn in ihrem schwarzen Hosenanzug als eindeutig nicht stereotypisch weiblich dargestellt wird, denkt nicht daran. Um an die Spitze der Hierarchie zu gelangen, beginnt sie mithilfe ihrer ehemaligen Amme Mishal (Hiyam Abbas) Intrigen zu schmieden, die sich schließlich nicht nur gegen die Familie der Gegenseite richten.

„Freiheit, das war das Versprechen. Das eine Wort auf unseren meersalztrockenen Lippen.“

Qurbani gelingt es in seinem Film, den Hauch der Shakespeare’schen Altertümlichkeit in neuer, schon futuristisch anmutender Szenerie zu erhalten. Die Dialoge orientieren sich am Original, was zu – für Filme oft untypisch – langen Szenen führt. So bekommt man jedoch einen ausführlichen Eindruck der Charaktere und, durch die sich von der heutigen Alltagssprache stark unterscheidenden Formulierungen, alltägliche Gefühle in erfrischend neuem Kleid präsentiert. Es gibt viele Szenen, in denen Rashidas Stimme via Voice-Over zu hören ist und einen poetisch-enigmatischen Einblick in ihre Gedanken gibt. Zudem unterteilt sich der Film in verschiedene Abschnitte, die mit eingeblendeten Zwischenüberschriften gegliedert sind. Diese geben manchmal eine schriftliche Einladung wieder, oft aber einen Hinweis auf das kommende Geschehen oder Rashidas nächsten Plan, in dem einzelne Worte auf Deutsch, aber auch Arabisch eingeblendet werden.

„Soll doch zahm, lieblich und gehorsam sein. Glaubt ruhig, ich wäre es.“

Auch die Schauplätze, die für den Film gestaltet wurden, bieten ein angenehm neues und ungewöhnliches Bild: Während der Anfang des Films noch in realistisch gestalteten Umgebungen mit lebensnahen Outfits spielt, wird der Hintergrund mit Fortschreiten des Films und Rashidas Feldzug nach Macht immer obskurer und kulissenartiger. Berlin weicht einer wüstenähnlichen Umgebung, mit Gestellen aus Holz und Metall, in der sich die Schauspielenden in goldfarbenen, weißen oder schwarzen, an Dune oder Mad Max anmutenden Kostümen und Masken bewegen. Rashidas blutiges Voranschreiten scheint immer mehr zu einem aus Fanatismus geborenen Fantasiekonstrukt zu werden, wie ein Fiebertraum, in dem Wunsch und Wirklichkeit nebeneinander existieren. Die Protagonistin schwingt sich auf zu einer Befreiungskämpferin ihrer selbst, deren feministische Botschaft allerdings von ihrem Machthunger verschlungen wird. Ein zynischer Gedanke wird gegen Ende geteilt: „Waten Frauen nicht immer durchs Blut? Geben Leben durch Blut … und Becher von Monatsblut.“

„Ich tue, was ich will. Trotzdem bin ich weniger Tier als ihr.“

Qurbanis Entscheidung, aus Shakespeares Protagonisten eine Frau zu machen, eröffnet dem Film neue Möglichkeiten der Betrachtung und Spielarten mit Geschlechterrollen, darf aber nicht als feministischer Akt interpretiert werden. Klammert man diesen Gedanken aus, ist der Film für Shakespeare-Fans eine schöne Neuinterpretation, die auch aus rein künstlerischem Interesse eine Sichtung verdient. Aber auch wer das Original nicht kennt, bekommt ein visuelles und akustisches Kunstwerk präsentiert, dessen Handlung man problemlos folgen kann. So oder so blickt man hier auf Dramatik und Machtspiel in ungewohnter Surrealität, die das Herz eine*r jede*n Kunstfreund*in höherschlagen lässt.

von Nike Kutzner

Burhan Qurbani
Kein Tier. So Wild.
Deutsch, Arabisch
Deutschland, Frankreich, Polen, Schweiz 2025
142 min
FSK 16

© Lukasz Bak_Port au Prince Pictures

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