Catel & Bocquet – Alice Guy. Die erste Filmregisseurin der Welt
Catel & Bocquet – Alice Guy. Die erste Filmregisseurin der Welt

Catel & Bocquet – Alice Guy. Die erste Filmregisseurin der Welt

„Niemand hat mich vergessen. Weil ich im französischen Kino einfach nicht mehr existiere.“

In der als Biografie angelegten Graphic Novel Alice Guy – Die erste Filmregisseurin der Welt werden der Aufstieg und Fall einer Frau gezeichnet, die die Filmgeschichte prägte und schließlich doch zu einer gnadenlosen Nicht-Existenz verurteilt wurde.

So wird der Name Alice Guy wohl selbst dem ein oder anderen Filmnerd nicht bekannt sein und dies hat klare Gründe. Zumeist „männliche“ Filmgeschichtsschreiber haben Werke von ihr einfach männlichen Regisseuren zugeschrieben, wie etwa in Les Pionnieres du cinéma von Georges Sadoul. Auch in deutschsprachigen Werken zur Filmgeschichte findet sich kaum etwas über Alice Guy. Entweder wird sie gar nicht erst erwähnt oder ihre bedeutende Rolle für die Entwicklung des Films unterschlagen.

Eine Pionierin des Films

Eine Frevelei, wenn man bedenkt, dass sie mit La Feé aux Choux aus dem Jahr 1896 den ersten fiktionalen Film überhaupt drehte, den Vorreiter des Spielfilms. Von 1900 bis 1906 inszenierte sie außerdem bis zu 100 Phonoszenen und zeigte sich damit als Pionierin des Tonfilms. Des Weiteren zeichnet sich ihr Werk durch die Anwendung von, zu ihrer Zeit noch unkonventioneller, Techniken wie etwa Zeitraffer, Zeitlupe und Doppelbelichtung aus. Für uns heute vielleicht selbstverständlich, waren diese Dinge damals gerade erst in der Entwicklung, zu welcher Guy mit ihren Arbeiten wesentlich beigetragen hatte. Auch hinsichtlich der Motive sticht Guy hinaus: So zeigte sie in ihren Filmen schon früh Arbeiter*innen -Milieus, ließ People of Color casten, während der Mainstream sich noch der äußerst diskriminierenden Methode des Blackfacings bediente, und stellte Geschlechterstereotype auf humorvolle Weise auf den Kopf.

Sachbuch, Comic und Biografie in einem

Der Comic beginnt zunächst Comic–untypisch mit einem Artikel von Sven Jachmann, in dem er einleitend über die reale Person Alice Guy referiert sowie den Hintergrund über die Entstehung der vorliegenden Graphic Novel schildert. Anschließend beginnt die eigentliche Erzählung im Comic-Stil, welche den*die Leser*in feinfühlig Alice Guys Werdegang nachvollziehen lässt, vom Berufsstart als Sekretärin bis hin zu einer anerkannten Regisseurin, Produktionsleiterin und letzten Endes Besitzerin des eigenen Filmstudios The Solax in New York. Der Weg dahin war nicht leicht und der Erfolg, ungeachtet der Qualität und Mühen, stets abhängig von der Gunst anderer Männer, die das Filmbusiness dominierten. Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn sie gegen Ende der Erzählung nach langjährigem Aufenthalt in den USA nach Frankreich zurückkehrt und ernüchtert feststellen muss, dass man sie nicht einfach nur vergessen hat, sondern ihre Existenz im französischen Film schlicht negiert wurde. Lange sollte sie noch für ihre Anerkennung kämpfen, die Erscheinung einer Biografie über sich und ihr Werk erlebt sie nicht mehr. Die erste Biografie, erschienen 1976, bildet den Abschluss der Erzählung und ist markiert als Kapitelanfang, der nicht abgeschlossen wird. Stattdessen wechselt der Comic wieder auf eine Sachebene, die Zeichnungen werden zur Illustration eines Sachtextes, in dem der*die Leser*in noch näheres über Alice Guy und die sie umgebenden Personen erfährt, sowie eine kompakte Chronologie mit Jahreszahlen und den wichtigsten Fakten an die Hand bekommt. Hierüber und über die erzählte Lebensgeschichte Guys in Manier der Graphic Novel erfährt der*die Leser*in einiges über die Person und ihr Schaffen, aber auch über den Zeitgeist, die politische Situation und die technische Entwicklung des Films im Allgemeinen. Damit vereint Alice Guy – Die erste Filmregisseurin der Welt auf kreative Weise Aspekte einer Personenbiografie, eines Sachbuchs über die Filmentwicklung und einer Graphic Novel. Eine neue Art und zu Teilen deutlich angemessenere Geschichtsschreibung des Films, die zur Weiterführung einlädt.

von Jean Müller

Catel & Bocquet
Alice Guy – Die erste Filmregisseurin der Welt
Zeichnungen: Catel Muller
Szenario: José-Louis Bocquet
Übersetzt aus dem Französischen von Antje Riley
Splitterverlag 2023
400 Seiten
45,00 Euro
ISBN 978-3-98721-029-7

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