Anton Weil – Super Einsam
Anton Weil – Super Einsam

Anton Weil – Super Einsam

„In mir meldet sich Angst. Ich brauche Halt. Würde mich gern irgendwo festhalten. An irgendwem. Eigentlich nicht nur irgendwem. Das Vermissen ist schrecklich.“

Anton Weil fängt in seinem Debütroman Super Einsam die Vereinzelung in der Großstadt, wenn „Freunde […] zu Kollegen und die Kollegen zu Bekanntschaften geworden [sind]“, ein. Anhand des Protagonisten Vito transportiert Weil in einer stromhaften Narration das Straucheln im Leben, die Suche nach Identität, Zugehörigkeit und Halt.

„Bin stinksauer – nicht auf mich und meine Unfähigkeit, ein geregeltes Leben zu führen, sondern auf die Welt und wie sie funktioniert.“

Die Einsamkeit ist dreifaltig für Vito. Zum einen ist er mit 30 wieder Single – der Traum der ausgemalten Zukunft rückt in unerreichbar erscheinende Ferne. Zum anderen hat er bereits mit 17 Jahren die Mutter an Krebs verloren und ist von Trauer immer noch tief zerfressen. Letztlich hat er zwar einen Psychologen als Vater, der sieht, dass es ihm nicht gut geht, aber trotzdem nicht auf ihn zugehen kann. Die Versuche sich aus den Tiefen dieser Einsamkeit herauszuziehen, enden oft in einem Versacken in der Eckkneipe, einem erneut verpassten Termin, mit dem es beruflich doch endlich hätte aufwärts gehen sollen, oder im Tunnelblick eines Flirts, der sich im Moment wie die neue große Liebe anfühlt, nur um sich dann als One-Night-Stand zu entpuppen – weil eben beide auf der Flucht sind und sich in der anderen Person kurz den Ausweg, oder zumindest eine Ablenkung, illusioniert haben.

Der Titel Super Einsam setzt Erwartungen, die nicht ganz erfüllt werden. Vor allem in den ersten 100 Seiten drängt sich die Frage auf, ob es sich bei Vitos Geschichte, statt um die im Klappentext angekündigte Auseinandersetzung mit der Vereinsamung einer ganzen Generation, nicht schlicht um einen Mann handelt, bei dem sich die Einsamkeit dadurch einstellt, dass die nun Exfreundin alle emotionalen Bedürfnisse und weiteren sozialen Kontakte abgedeckt hat; weil er mit ihr nicht mehr seinen idealisierten Traum von Vater, Mutter, Kind verwirklichen kann, der damals, als er selbst das Kind war, gescheitert ist. Männer, die sich den vermeintlich platonischen Freund*innenkreis primär aus ehemaligen und zukünftigen Liebhaberinnen zusammenstellen, lamentieren dann über Einsamkeit. In diesem Prozess der Vereinsamung dürften sich manche wiederfinden, aber sicher nicht eine ganze Generation. Im weiteren Verlauf des Romans bekommt Weil dann noch die Kurve, indem er aufzeigt, dass Einsamkeit nicht nur durch fehlende freundschaftliche (oder partnerschaftliche) Nähe entstehen kann, sondern generell durch fehlenden Halt. Bleibt der berufliche Erfolg, eine gekittete Beziehung mit dem Vater und bzw. oder ein Verarbeiten des Verlusts der Mutter, die diesen Halt bieten könnten, aus, fehlt die Zugehörigkeit. Und was ist Einsamkeit anderes als ein fehlendes Gefühl der Zugehörigkeit?

„Obwohl ich vielleicht keinen Deut besser bin, surfe ja selbst zwischen den Welten, kaum schreibt sie, bin ich wieder in vertrauten Gefilden.“

Die angerissene Suche nach Identität klassifiziert Super Einsam nicht als queeren Roman. Vito sinniert über einzelnen Situationen schwulen Begehrens, will auch mal mit Männern flirten, sammelt zaghaft Erfahrungen und stellt sich dabei eher unbeholfen an. Diese queeren Exkurse” finden jedoch klar auf einem Nebenschauplatz des Romans statt. Selbstredend erschwert Heteronormativität es Vito, seine Bisexualität anzuerkennen, anzunehmen und auszuleben. Es ist dennoch eine bewusste Entscheidung des Autors, dass sich Vito von Exliebhaberin zu Exfreundin hangelt und sich sein verflossenes Glück ausschließlich mit Frau und Kind vorstellt. Eine Reflexion dessen ist in Zügen zu erahnen, aber dennoch kann sich der Eindruck einschleichen, dass hier ganz knapp am Queerbaiting entlanggeschrammt wird.

„[…] ich weiß schon, dass ich die Antworten in mir selbst finden muss, check ich schon. Ist alles nicht neu, hättest auch die Fresse halten können […]“

Super Einsam liest sich als ein Gedankenstrom, der wie Ebbe und Flut zwischen Realität und potenzieller Realität hin und her schwappt. Vito erzählt, was passiert ist, passiert oder passieren könnte. Das Ausmalen und Weiterspinnen beschränkt sich nicht nur auf seine Geschichte, sondern auch sein Umfeld findet sich dort wieder: engste Personen um ihn, aber auch das Pärchen im ICE bieten ihm Raum zur Dissoziation und Projektion. Weil zeichnet dadurch gekonnt nach, dass das stellenweise überhebliche Karikieren seines Umfelds als Übersprungshandlung bzw. Versuch der Kompensation des eigenen Gefühls der Unzulänglichkeit dient. Eindrücklich gibt der Autor, besonders zu Beginn des Romans, die selbstgeißelnde Strenge, mit der der Protagonist mit sich ins Gericht geht, wieder und wie die Scham über sein „scheiterndes“ Leben dadurch ihre pointierte Steigerung erfährt.

Die Stärke des Romans ist eindeutig die Schilderung des Traumas durch den Tod der Mutter und wie dieses den Protagonisten auch viele Jahre später noch fest im Griff hat. Die düstere Stimmung, die sich mit jeder verpatzten Chance, es herauszuschaffen aus dem Einsamkeitsloch, verstärkt, macht Anton Weil erträglich durch den gekonnt ausbalancierten Ton. Immer wieder blitzt zwischen dem ganzen Schmerz Witz und Humor auf. Mit einem Halbsatz oder zwei Worten, die so trocken wie trotzig nachgeschoben werden, fängt der Autor die Trostlosigkeit der Geschichte Vitos (weil Einsamkeit nun mal nicht zu beschönigend ist) auf. Mit diesem Balanceakt schafft es Anton Weil die Schwere des Romans zugänglich zu machen.

von Michaela Minder

Anton Weil
Super Einsam
Kein & Aber 2024
240 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-0369-5042-6

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