Yael van der Wouden – In ihrem Haus
Yael van der Wouden – In ihrem Haus

Yael van der Wouden – In ihrem Haus

Ein Haus als Spiegel der Gegenwart und Vergangenheit

Isabel lebt allein und genau so soll es auch bleiben. Das Haus ihrer verstorbenen Mutter ist ihr heilig und mit ihm auch die gewohnte Stille dort. Van der Wouden entführt in ihrem Debütroman die Leser*innen in die Niederlande der 1960er Jahre, in denen der vergangene Krieg noch immer nachwirkt. Als ihr Bruder ungeplant auf eine Geschäftsreise muss, bittet er Isabel seine neue Freundin Eva für ein paar Wochen in ihrem Haus wohnen zu lassen. Davon ist Isabel überhaupt nicht begeistert, kann sich aber nicht wehren und nimmt Eva für vier Wochen bei sich auf. Das Zusammenwohnen ist von Anspannung geprägt und im Laufe der Zeit verschwinden immer wieder kleine, aber sehr liebgewonnene Gegenstände, sodass sich ein noch größeres Misstrauen zwischen den beiden Frauen breitmacht. Trotzdem weichen Isabels sonst so festgefahrenen Sichtweisen auf das Leben in der ungewohnten Gesellschaft langsam auf und bringen neue Erkenntnisse mit sich.

„Sie hatte sonst nichts auf der Welt. Nur dieses Haus mit seinen sauberen Fußböden und ordentlich gemachten Betten. Und das reichte ihr. Wenn sie es nur behalten könnte, würde ihr das reichen.“

Das Zentrum der Handlung ist Isabels Haus – sowohl im übertragenen als auch im buchstäblichen Sinne. Die Frage, ob sie tatsächlich die Eigentümerin ist, wird in den Raum geworfen und schafft eine Möglichkeit der Bewusstwerdung einer Schuld, die Isabel noch nicht bekannt ist. Obwohl Isabels Wunsch – das Allein-Sein – so simpel ist, ist ihr Charakter doch nicht wirklich durchschaubar und durchläuft im Laufe der Handlung eine spannende Entwicklung.

In vielerlei Hinsicht hält der Roman Überraschungen für die Leser*innen bereit. Sowohl der Verlauf der Geschichte als auch die Entwicklung der Charaktere sorgen für ein besonderes Leseerlebnis. Die Spannung scheint permanent unter der Oberfläche zu lauern und jeden Moment durchbrechen zu wollen, jedoch geschieht es anders als gedacht. Die Wirkungen und Hintergründe bestimmter Handlungen sind nicht immer direkt absehbar, was beim Lesen eine regelrechte Sogwirkung erzeugt . Gleichzeitig ist es eine wunderschöne queere Geschichte über weibliche Lust. Dadurch wird van der Woudens Roman sehr vielschichtig und erklärt die Nominierung auf der Shortlist für den Booker Prize 2024. Auch sprachlich überzeugt van der Wouden mit detaillierten Beschreibungen über die Gefühlslage der Protagonistin, was ihre eigentümliche Persönlichkeit nachvollziehbarer macht. Besonders interessant wird es auch zum Ende nochmal, da die Geschichte durch einen geschickten Perspektivwechsel aufgelöst wird.

Diese relativ vagen und kurzen Worte zu van der Woudens Debut haben nichts mit dem großen Lesevergnügen zu tun. Vielmehr sollen sie reichen, damit auch zukünftige Leser*innen die Chance haben diese überraschende, tiefgründige und relevante Geschichte selbst zu erleben.

von Jule Dumke

Yael van der Wouden
In ihrem Haus
Aus dem Niederländischen von Stefanie Ochel
Gutkind Verlag 2025
320 Seiten
24,00 Euro
ISBN 978-3-98941-055-8

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