Sally Rooney – Intermezzo
Sally Rooney – Intermezzo

Sally Rooney – Intermezzo

Gelobt sei Sally Rooney, als Stern am literarischen Himmel.

— 

CW: Trauer, körperliche Gewalt

— 

Für Sally Rooneys neuen Roman Intermezzo (übersetzt von Zoë Beck) wurden Fans lange auf die Folter gespannt, vergangenen September war es so weit. Die FAZ nennt Intermezzo „ihr[en] bislang beste[n] Roman“, der Meinung ist auch die ZEIT. Was macht die irische Autorin Sally Rooney wieder einmal so besonders (gut)?

Zwei männliche Protagonisten, dazwischen ein Mezzosopran. 

Beginnend mit dem Tod des Vaters gewährt die Autorin sukzessive Einblick in die konträren Brüder Koubek: Den introvertierten, strategisch und klug denkenden Schachspieler Ivan (22) und seinen 10 Jahre älteren Bruder Peter, der sich als ehrgeiziger Jurist zeigt. Rooney zeichnet die zentralen Figuren präzise und spickt den Roman mit Dialogen und Chatnachrichten. Aus feministischer Perspektive liegt die Vermutung nahe, dass Rooney männliches Vermeidungsverhalten kritisiert: Männer stellen sich ihren Konflikten nicht, sondern lagern emotionale Arbeit an Frauen aus – Stichwort Care-Arbeit. Aus weiblicher Perspektive mag es irritieren, dass sich der Roman ganz auf zwei männliche Protagonisten konzentriert. Die beiden haben entweder den Versuch noch gar nicht angestellt, die Tür zu ihren Emotionen zu öffnen, oder versuchten dies mit dem falschen Schlüssel. Es geht um Frauen, die sie auf die eine und andere Art lieben, die die Emotionsschlüssel in den Händen halten. Sylvie, Naomi und Margaret bilden den Mezzosopran dieses Romans – Stimmen, die zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und persönlichen Wahrheiten oszillieren.

„Bilder dunkler Gassen“ – oder auch: Männer im Umgang mit Liebe und Trauer.

Will die irische Autorin mit ihrem Roman aufzeigen, wie destruktiv männliche Sozialisation den Umgang mit Trauer und Beziehungen prägt? Vielleicht. Man bedenke das 21. Jahrhundert, in dem klassische Beziehungsmodelle im Westen passé sind, aber trotzdem immer noch einer Rechtfertigung gegenüber der Gesellschaft unterliegen. Rooney thematisiert Altersunterschiede in Liebesbeziehungen und verzichtet dabei auf den romantischen Schleier, der in der Literatur gerne ein nötiges Accessoire darstellt – ohne Klischees oder romantische Überhöhung. Einer Frau, die sich mit Drogen und ihrem Körper ihren Unterhalt verdient, muss es nicht an Intelligenz mangeln. Eine intensive, emotionale Verbindung kann vieles aushalten und sich den Umständen anpassen, wenngleich ein hoher Preis dafür gezahlt wird.

„Gibt es da einen Unterschied, etwas zu wollen und zu denken, dass das, was man will, eine gute Idee ist?“

Eine dramatische Handlung in Intermezzo? FehlanzeigeStattdessen entfaltet sich das Geschehen in feinen Zwischentönen, emotionalen Spannungen und inneren Kämpfen – fast 500 Seiten lang. Abwechselnd in den Kapiteln wird in der 3. Person vom einen, dann vom anderen Bruder erzählt. Manche Szenen erfahren eine zweifache Perspektive. Während Ivan eine intensive Figurenentwicklung durchlebt, tritt sich Peter eher auf der Stelle oder verharrt in seiner Vergangenheit, bis es zum Ende hin aus ihm herausplatzt, weil weder Alkohol noch Drogen Verdrängtes zurückhalten können. Für den klassischen Eros zeichnet Rooney Peters Geliebte Naomi, der gegenüber er fast gänseblümchenartig changiert zwischen „ich lieb‘ dich, ich lieb‘ dich nicht“. Bis das Ganze auf die Spitze getrieben wird und er eines Nachts wieder bei Christine, seiner Mutter, schläft. Und dann sei da noch die tiefe emotionale Verbundenheit mit Sylvie zu nennen. Klischeehaft gibt es körperliche Gewalt und Tränen zwischen den Brüdern, die zu einem versöhnlichen Gespräch auf den letzten Seiten reicht – na endlich. Hier sei dazugesagt, angestoßen wird dies durch die Figur Margaret – Ivans Geliebte.

Man liest weiter, weil man hinter die Beweggründe der Figuren steigen möchte. Und es ist bergig. Aber man wird belohnt. 

Intermezzo ist character-driven im besten Sinne. Warum im Kontext mit Peter die Mutter Christine, aus Ivans Perspektive allerdings Mutter genannt wird. Warum Peter seinen Bruder nach wie vor bevormundet, einen gewissen Groll in sich trägt, und diesen mit Medikamenten und Alkohol zu stillen versucht. Warum Monogamie vielleicht nicht die Lösung ist, das Korsett der Gesellschaft einen aber ständig daran erinnert. Warum eine Heterobeziehung zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau gesellschaftlich anders akzeptiert wird als andersherum. All das verhandelt die Autorin präzise in Intermezzo und lässt dabei keine Figur als eindeutig schuldig in ihrem Handeln dastehen – vielmehr eröffnet sie einen Diskurs um die Sozialisation von Mann und Frau, Verantwortung von Eltern und Geschwisterdynamiken, die Korrelation oder Kausalität von Talent und Ehrgeiz. 

Besonders gelungen ist Rooney das Literarisieren der Generationenfrage: Die Themen Liebe, Begehren, Sehnsucht und Trauer im 21. Jahrhundert sind tiefer als in ihren bisherigen Werken – die Protagonist*innen gehören unterschiedlichen Generationen an und gehen different mit Dingen um. Wo Gen-Z Peter als „lost“ bezeichnen würde, würde Gen-Y vielleicht sagen „Er hat eben seinen Vater verloren“. Der Autorin scharfsinniges Auge für ihrer Figuren, die wie stetige Begleiter*innen einen selbst nach Beenden des Buches nicht loslassen, ist typisch Rooney – ein leidenschaftlicher Roman, der auf Anführungszeichen verzichtet, sodass bei manchen Dialogen nicht eindeutig ist, was von wem gedacht und überhaupt gesagt wird. Ein Schwebezustand zwischen Nähe und Distanz, zwischen Gesagtem und Ungesagtem – weil den Figuren entweder die Worte fehlen oder der Zugang zu ihnen.

„Warum hat sie das Wort Leidenschaft gebraucht? Und warum hat er es so oft wiederholt, drei- oder viermal? Ist es denn anstößig? Nein, ist es nicht. Aber ist es vielleicht wie ein kleines Pflaster, das man über eine andere Vokabel legt, die tatsächlich anstößig ist? Ja, vielleicht. Ein Wort, durch das Blut strömt, ein rotes Wort.“ 

Sally Rooney ist besonders dahingehend, wie ihre Geschichten funktionieren, ohne dass viel passieren muss, aber ein Figurenensemble entsteht, das lange nachhallt. Möge man zu Beginn etwas Geduld haben, in den leidenschaftlichen Lesefluss zu kommen, lässt einen dieser komplex gespannte Roman nicht mehr los.

 von Miriam Mösl

Sally Rooney
Intermezzo
Aus dem Englischen von Zoë Beck
Claassen 2024
496 Seiten
25,50 Euro
ISBN 978-3-546-10052-6

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert