Kobai Halstenberg (Hrsg.) – Wir sind wir. Junge trans* Menschen erzählen
Kobai Halstenberg (Hrsg.) – Wir sind wir. Junge trans* Menschen erzählen

Kobai Halstenberg (Hrsg.) – Wir sind wir. Junge trans* Menschen erzählen

„Und bei dem Weg der Transition geht es nicht darum, ein Mann zu werden oder eine Frau, sondern darum, man selbst zu werden.“

CW: emotionale Gewalt, Operationen, Queerfeindlichkeit, Selbsthass, Selbstverletzung, Suizidgedanken, -versuch, Transfeindlichkeit 

Kobai Halstenberg hat bereits 2021 unter dem Titel Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt ein Buch über die letzten Kinder des 2. Weltkriegs verfasst, das auf über 100 Zeitzeug*innengesprächen beruht. Ähnlich aufgebaut hat sie sich nun einem anderen Thema gewidmet. In Wir sind wir erzählen junge trans* Menschen von sich, ihrer Identitätsfindung, Transition, prägenden Erlebnissen, Reaktionen des Umfelds und Zielen für die Zukunft. Abgerundet wird das Buch durch die treffenden und hübschen Zeichnungen, mit denen Vanessa Mundle die Texte begleitend illustrierte. Besonders das schöne Cover lässt das Buch ins Auge stechen und trägt dadurch hoffentlich dazu bei, dass es viele Personen in die Hand nehmen und lesen.

„Ich will doch nur ich und glücklich sein.“

In 21 Beiträgen, darunter auch drei Gedichte, werden unterschiedlichste Perspektiven geteilt, die das Spektrum geschlechtlicher Vielfalt und persönlicher Erfahrung eindrücklich abbilden. Von 15 bis 27 Jahren, aufgewachsen auf dem Land oder in der Stadt, ist alles dabei. Dabei wird auch die Intersektionalität von Identität, besonders in der Erzählung einer migrantischen Perspektive, oder der, in der sich christliche und queere Identität vereinen, deutlich. Auch die Erzählung eines trans* Mannes, der einen leiblichen Kinderwunsch besitzt und das Kind austragen möchte, findet Repräsentation. 

In den Berichten lassen sich viele Parallelen ablesen, leider auch der stark ausgeprägte Leidensdruck, verursacht durch Sozialisierung oder das Umfeld. Umso schöner sind die Stellen, an denen in allen Texten Euphorie, Zuversicht und Hoffnung für die Zukunft durchscheinen. Dennoch zeigen die vielen Blickwinkel auch die Unterschiede – gar nicht auf die offensichtlichen Faktoren bezogen, wie welche Geschlechtsidentität die jeweilige Person hat. Sondern es wird deutlich, wie entscheidend, gerade bei noch schulpflichtigen Jugendlichen, beispielsweise die Reaktionen der Familie und der Schule auf das Coming-Out und darüber hinaus, oder Therapeut*innen, die sensibel und kompetent mit Trans*Sein umgehen, sind. Ebenfalls zeichnet sich in vielen der Texte ab, wie elementar Community ist, sei es eine Bekanntschaft aus dem Internet oder der Kontakt zu einer lokalen queeren Supportgruppe. 

„Ich habe ein Recht, ich selbst zu sein und mich wohlzufühlen in meiner Haut!“

Noch vor der Inhaltsangabe spricht die Herausgeberin den Jugendlichen, die im Rahmen des Buches ihre Geschichte erzählt haben, ihren Dank aus und verweist darauf, dass sie die langen Gespräche so aufgeschrieben hat, als könnte man ihnen unmittelbar zuhören. Das bestätigt sich sehr markant, da der Ton stark mündlich ist. Dieser Stil mag irritieren, wenn man eine solche Form nicht gewohnt ist, aber dadurch wird eine gewisse Authentizität transportiert und die Beiträge sind leicht verständlich. Das empfiehlt sich auch für das intendierte Publikum, da das Buch bei Sauerländer, dem Kinder- und Jugendbuch Verlag von Fischer erschien und ab 14 Jahren empfohlen wird. Auf der Verlagsseite gibt es außerdem ergänzendes Unterrichtsmaterial zu dem Buch. Das lässt darauf hoffen, dass manche Lehrkräfte der Forderung, die unter anderem in den Beiträgen gestellt wird, nachkommen und inklusive Aufklärungsarbeit zu geschlechtlicher Diversität auch in der Schule stattfindet. Für Menschen, die ebenfalls trans* sind, bietet das Buch die Möglichkeit, sich in Aspekten wiederzufinden, aber vor allem für Personen, die trans* Menschen, besonders junge, in ihrem Umfeld haben, bietet das Buch die Chance, illustrierend und lehrreich zu sein, sodass beispielsweise das eigene Kind oder der*die Mitschüler*in besser unterstützt werden kann.

„Trans*Sein ist ein Teil von mir, mit dem ich leben muss und der vielleicht sogar eine meiner größten Stärken ist.“

Durch alle Beiträge von Wir sind wir. Junge trans* Menschen erzählen zieht sich eindrücklich das Anprangern, dass junge Menschen bezogen auf ihre geschlechtliche Identität oftmals nicht ernst genommen werden und ihnen durch verschiedenste Hindernisse die Autonomie und Handlungsmacht über ihren eigenen Körper und dadurch ihr eigenes Leben zu entscheiden erschwert, hinausgezögert oder sogar untersagt wird. Allein für diese Botschaft und die damit verbundenen Forderungen sollte den Stimmen des Buches Gehör geschenkt werden!

von Michaela Minder

Kobai Halstenberg (Hrsg.) 
Wir sind wir. Junge trans* Menschen erzählen
Illustriert von Vanessa Mundle
Fischer Sauerländer 2024
352 Seiten
12,90 Euro
ISBN 978-3-7335-0788-6

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