Daisy Alpert Florin – Mein letztes Jahr der Unschuld
Daisy Alpert Florin – Mein letztes Jahr der Unschuld

Daisy Alpert Florin – Mein letztes Jahr der Unschuld

Zwischen Monica Lewinsky und MeToo

CW: Depressionen, Drogenkonsum, Essstörung, häusliche Gewalt, Selbstverletzung, sexuelle Belästigung, Suizid, Suizidversuch, Tod

Es ist Frühjahr 1998 und die junge Studentin Isabel Rosen freut sich auf ihr letztes Semester am Wilder College. So die Ausgangslage in Daisy Alpert Florins Roman Mein letztes Jahr der Unschuld. Kurzfristig wird die Leitung des Kurses für Kreatives Schreiben jedoch an den charismatischen Autoren R. H. Connelly gegeben, der Isabel nicht nur aufgrund seiner sprachlichen Gewandtheit beeindruckt. Zwischen ihr und dem knapp 20 Jahre älteren Dozenten entspinnt sich eine Affäre, die offiziell nicht sein darf. Isabel taucht unmittelbar ein in einen Strudel aus Verbot und Verlangen, literarischer Tiefgründigkeit und der Erkenntnis, dass es zwischen Richtig und Falsch eine ganze Menge Schattierungen an Grau gibt.

„Bald würde ich begreifen, dass Erwachsensein genau das ist: ein ständiges Aufdenkopfstellen all dessen, woran man als Kind geglaubt hatte.“

Vordergründig erzählt die Autorin von der verbotenen Liebesbeziehung einer Studentin mit ihrem Literaturprofessor und ihrem letzten Semester am College, bevor es in die Arbeitswelt geht. Hintergründig begleiten die Lesenden Isabel bei einem, wie es scheint, finalen Schritt in ein erwachseneres Leben hinein. Durch die Beziehung, aber auch durch Konflikte mit Freund*innen und Kommiliton*innen sowie die nicht sonderlich geheim gehaltene Ehekrise eines weiteren Dozierendenpaares erweitern und vertiefen sich ihre Gedanken zu Moral, zwischenmenschlicher Kommunikation und dass nichts für immer bleibt. Das Besondere ist, dass die Geschichte als Rückblick, nämlich der Perspektive der nun älteren Isabel Rosen erzählt wird, die mit von diesem Standpunkt aus betriebenem Foreshadowing auch Hinweise auf weitere Entwicklungen anderer Charaktere oder Situationen gibt. Man kann dem Buch gut folgen, wenn Isabel ihr letztes Semester als Zeitpunkt ihres Erwachsen-Werdens reflektiert, als Fundament ihres Schriftstellerinnen-Daseins und der Erkenntnis, dass moralische Grenzen nicht Schwarz oder Weiß sind, sondern vielfältig zwischen diesen Polen oszillieren. In bestimmter, aber auch berührender Weise blickt Isabel zudem zurück auf die sie emotional und intellektuell prägende Affäre mit Connelly. Im Laufe ihrer Schilderung werden die mit zunehmender Lebenserfahrung wachsenden Zweifel an der Möglichkeit ihres Einverständnisses laut.

„Was war ein Versprechen? Nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Worten.“

Obwohl es nicht explizit beim Namen genannt wird, thematisiert das Buch Machtgefälle, Konsens und Verantwortung. Das wird dem*der Leser*in allerdings, da man sich auf die erwartete romantische Affäre der beiden konzentriert und Isabels intensive Gefühle von Verliebtheit und der Sexualitätserfahrungen mitempfindet, erst gegen Ende des Buches klar. Isabel selbst macht diese Erkenntnis erst in der Retrospektive, dennoch sieht sie sich nie als ein Opfer.  Begleitet wird die Schilderung dieses letzten Semesters von den Schlagzeilen um Monica Lewinsky, was eine interessante Parallele zur Geschichte des Buchs aufweist.

Mein letztes Jahr der Unschuld ist voller emotionaler Höhen und Tiefen, erzählt unaufdringlich und bedacht, und ist trotz der feinen Sprache mitreißend.

von Nike Kutzner

Daisy Alpert Florin
Mein letztes Jahr der Unschuld
Aus dem amerikanischen Englisch von pociao und Roberto de Hollanda
Eisele 2024
336 Seiten
24,00 Euro
ISBN 978-3-96161-186-7

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