Das Portrait einer Familie
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CW: queerfeindliche und xenophobe Aussagen, Alkoholmissbrauch, Blut, Gewalt an Tieren und Menschen
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Constanze Klause schrieb das Drehbuch und führte Regie bei Mit der Faust in die Welt schlagen, der Anfang April in die Kinos kam. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, der 2018 erschien – zeitlich sehr nahe an den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Chemnitz gelegen.
Industriebrachen und Perspektivlosigkeit als Überbleibsel der DDR
Mit der Faust in die Welt schlagen erzählt von Kindern, die die Wende selbst nicht erlebt haben, aber ihre Nachwehen deutlich in der eigenen Familienbiografie und ihrem Umfeld spüren. Der Film wird in zwei Zeitspannen erzählt: 2006 und zum Ende des Film 2015. Tobias (Camille Moltzen) und sein älterer Bruder Philipp (Anton Franke) wachsen in der ostsächsischen Provinz auf. Der Umzug in ein Haus – „Marke Eigenbau“ des Vaters – soll einen Aufschwung für die Familie symbolisieren. Und dennoch lässt sich das Erbe der DDR nicht abschütteln, zieht die Figuren wie eine schwere Last herunter und erschwert ihnen den erhofften Aufstieg. Der Umgang damit treibt sie in verschiedenen Richtungen …
Klause arbeitet anhand des Figurenspektrums Biografien des Abgehängt-Seins, des ermüdenden Versuches den Anschluss in der neuen Bundesrepublik zu finden sowie des Suchens nach einem Sündenbock, wenn dies nicht gelingt, heraus:
Vater Stefan (Christian Näthe) transportiert den Bruch einer Identität, wenn die damalige Arbeit in der DDR nun nicht mehr existiert und man sich von Extra-Schicht zu Extra-Schicht hangeln muss, um den eigenen Hausbau zu finanzieren – der sich dennoch schon seit 5 Jahren zieht und mehr schlecht als recht läuft. Als er die Stelle dann noch gekündigt bekommt und das Bewerbungen-Schreiben erfolglos bleibt, schürt das seine Wut auf Arbeiter*innen aus dem Ausland, die ihm vermeintlich seine Anstellung stehlen würden. Hier bedient sich Klaue des Klischees des alkoholkranken Vaters, der sich durch den Arbeitsverlust in seiner Rolle als Familienoberhaupt untergraben fühlt und versucht seinem Frust in Ablenkung zu entkommen und seine Wut an den Menschen auslässt, die er befürchtet zu enttäuschen.
Mutter Sabine (Anja Schneider) bildet die Überbelastung aus Haushaltsführung, Kindererziehung und Lohnarbeit ab. Als abgekämpfte Krankenschwester, die macht und tut und dennoch von allen Seiten Kritik erfährt, macht sie die emotionale Arbeit sichtbar, die oft unbeachtet im Hintergrund verschwindet. Besonders der Prozess der Desillusionierung, wenn das familiäre Glück scheitert, wird an dieser Figur berührend dargestellt.
„Weiß jemand, wo Stuttgart liegt?
„Im Westen.“
„Nein, das stimmt nicht. Stuttgart liegt im Süden.“
Die Brüder wachsen in einer Gegend auf, in der nicht in erster Linie die Leistung der Kinder darüber entscheidet, auf welche weiterführende Schule es geht, sondern ob die Buslinie zum Gymnasium schon ausgebaut ist oder nicht. Strukturelle Hindernisse wie dieses machen deutlich, dass auch 2006 im vereinten Deutschland eine Chancengleichheit zwischen Ost-West nicht existiert.
Halbstarke Jungs, die sich nur in der Gruppe stark fühlen, mit abgenommen Nummernschild durchs Dorf rasen und aus Wut genauso wie aus Langeweile der Zerstörung frönen.
Anfangs schlagen sich die Brüder noch gemeinsam durch, aber zunehmend geht jeder seinen Weg. Eingebettet in den Kontext von nationalistischen Aufmärschen in Dresden und einer geplanten Unterkunft für Geflüchtete im Heimatdorf der Brüder, versuchen die beiden auf ihre jeweils eigene Art mit der Wahrnehmung, dass nichts besser wird, dass sie es niemals hier raus schaffen umzugehen. Ein Bruder zieht sich zurück und der andere verschafft seiner Wut Luft … die Eskalation hat Folgen für beide.
Klause erzählt die Filmadaption von Mit der Faust in die Welt schlagen aus der Sicht der Kinder. Mit effektiven Kniffen sieht man die Welt, in der sie aufwachsen mit ihren Augen. Das hat zur Konsequenz, dass sich der Film – besonders im ersten Teil – viel aus Close-Ups speist, etliche Szenen angespielt werden, ohne aufgelöst zu werden, um die familiären und gesellschaftlichen Dynamiken näher zu bringen und sich die Erzählung durch diesen Aufbau hin zum Finale sehr zieht. Als dann zum Höhepunkt das Tempo angezogen wird, wird man fast erschlagen von der Brutalität, die sich entlädt (nachdrücklicher Hinweis zu den Content-Warnings, besonders Gewalt an Tieren). Diese Diskrepanz bildet wiederum eindrücklich das markierte Ende der Kindheit für die Brüder ab.
Der Film analysiert Männlichkeit und ihre sozio-ökonomische Dimension anhand eines breiten Spektrums an männlichen Figuren. Diese Herausarbeitung ist gelungen und klug. Weniger gelungen ist die präsentierte Pipeline von abgehängtem Osten zu rechtsextremistischer Radikalisierung, die besonders den zweiten Teil des Films dominiert. Die Erzählung zieht alle Register des Klischees der „Wendeverlierer“ – die Realität verlief und verläuft nicht so eindimensional, wenn auch die Klischees nicht von ungefähr kommen. Eine nuanciertere Auseinandersetzung wäre wünschenswert gewesen, weil es so schon stark in eine Kerbe schlägt. Gerade an dieser Stelle wird es verpasst aufzuzeigen, wie man trotz einer solchen Sozialisierung sich für ein anderes Narrativ entscheiden kann – mit der bloßen Landflucht in eine westdeutsche größere Stadt ist es nämlich nicht getan. Dies wird jedoch lediglich im Epilog des Films anhand einer der Brüder angerissen. Besonders hier möchte man mehr erfahren und wünscht sich der Film würde dem noch weiter nachgehen.
Mit der Faust in die Welt schlagen ist ein eindrücklicher Film, der aufzeigt, welches Gewaltpotenzial im Gefühl des Abgehängt-Seins und der Perspektivlosigkeit, auch für Nachwendekinder in den ostdeutschen Bundesländern liegt und welche Folgen das für die persönliche Politisierung haben kann.
Im Rahmen des 45. Erlanger Poet*innenfests wurden fünf verschiedene Spielfilme sowie ein Kurzfilm-Programm im Kino Lamm-Lichtspiele gezeigt. Es zeichnet das Poet*innenfest aus, dass die Auswahl so ausgewogen ausfiel und es nicht davor zurückschreckte politisch konnotierte Filme wie Mit der Faust in die Welt schlagen mitaufzunehmen. Eine Empfehlung für das Erlanger Poet*innenfest sowieso und das Filmprogramm insbesondere! Es bleibt gespannt abzuwarten, welche Veranstaltungen nächstes Jahr beim 46. Erlanger Poet*innenfest zu erwarten sind.
von Michaela Minder

Constanze Klaue
Mit der Faust in die Welt schlagen
Deutschland 2025
110 Minuten
Ab 12 Jahren



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