Mein Leben im Leuchtturm am Ende der Welt
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In seiner Autobiografie Windstärke 15 erzählt Thomas Bickhardt von seinem Leben im Leuchtturm an der Westküste von Norwegen. Was als Soloprojekt mit einer sehr renovierungsbedürftigen Baugrundlage startet, wächst über Jahre nicht nur zu einem Großprojekt, sondern erweist sich trotz aller Schwierigkeiten als realistischer Lebenstraum für den Hamburger Fotografen und Psychologen. Insgesamt 30 Jahre verbringt Bickhardt in seinem Leuchtturm “Kråkenes fyr” direkt an der Schnittstelle zwischen Meer und Himmel.
Jahreslange Familienurlaube in seiner Kindheit legten der Grundstein für seine Faszination für Norwegen. Seiner Liebe zum Meer ging er in seiner Seemannsausbildung nach. Jetzt vereint er beides. Sein Leben im Leuchtturm beginnt mit einem zweijährigen Pachtvertrag und der Vision, den Leuchtturm für Führungskräfteseminare auszubauen. Als er auf die harte Realität aus abblätternder Farbe, verzogenen Türen und einem verschimmelten Abstellraum mit morschen Regalen trifft, gerät sein Traum jedoch ins Wanken.
„Mein Blick fällt auf Spinnweben, Staub und Schimmel. Ich finde nichts, was ich dieser trostlosen Stimmung entgegensetzen kann. Und das bräuchte ich gerade so sehr.“
Statt zum Trainer und Coach wird er zum Handwerker: Er malert die Hauswand, verlegt Wasserleitungen und wagt sich auch ohne Vorkenntnisse an weitere Renovierungsarbeiten. Ähnlich holprig verläuft sein Start in der Dorfgemeinschaft. Immer wieder wird er aufgrund der deutschen Besetzung Norwegens während des zweiten Weltkrieges als Nazi abgelehnt, obwohl er sich selbst als liberal bezeichnet und seine Eltern Teil der 68er-Bewegung waren. Den Tourismusverband und das Dorftier – seine Bezeichnung für eine hartnäckige Bewohnerin – kann er damit aber nicht beschwichtigen. Trotz der Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, entstehen jedoch Freundschaften zu einzelnen Bewohnern. Sie unterstützen sein Projekt durch praktische Hilfe und legen regelmäßig ein gutes Wort bei den anderen für ihn ein – leider erfolglos. Zu Beginn verbringt er viel Zeit allein und kämpft ab und an mit Einsamkeit. Außerdem ist er regelmäßig in Hamburg, wo er zuvor arbeitete, und kehrt von Dezember bis April in sein WG-Zimmer zurück. Über die Jahre lernt er mit der Natur im Einklang zu leben, ohne dabei seine anfängliche Begeisterung für den Wind und die Wellen zu verlieren. Als zum ersten Mal ein Sturm mit einer Geschwindigkeit von 32 Metern pro Sekunde auftritt, verwandelt sich seine Wahrnehmung:
„Aus der überschwänglichen, […] naiven Verliebtheit eines jungen Mannes wird an diesem Tag eine tiefe, respektvolle Verbindung, die etwas von einer jahrzehntelangen Ehe hat […]. Das Meer kann eine wunderschöne Braut sein. Und sich innerhalb von Sekunden in eine todbringende Bestie verwandeln. “
Zusätzlich zu den Kapiteln über den Renovierungsprozess und den Umgang mit den Naturgewalten, schenkt Bickhardt auch Einblicke in sein Privatleben und seinen Umgang mit der Einsamkeit. Besonders in diesen Passagen lässt der Autor immer wieder auch seine psychologische Perspektive einfließen und analysiert sein eigenes Verhalten. Teilweise handelt es sich dabei um interessante Reflexionen, die zum eigenen Nachdenken anregen, teilweise aber auch um eher uninteressante Selbstdarstellungen. Während der erste Teil dadurch vor allem authentisch und unterhaltsam ist, wird der zweite Teil etwas langatmig und alltäglich. Der thematische Fokus verschiebt sich weg vom abenteuerlichen Leben im Leuchtturm, hin zu beruflichen Fragen und Beziehungsproblemen.
Eine besondere Stärke des Buches sind die eindrucksvollen Farbfotographien des Autors, von denen einige wirklich einzigartige Momente zeigen. Auf unvergleichliche Weise werden Stürme rund um den Leuchtrum, sowie meterhohe, perfekt belichtete Wellen eingefangen.
„Ab einer gewissen Windgeschwindigkeit werden die Wellen wieder kleiner, weil sie vom Sturm sozusagen niedergedrückt werden. […] Ein guter Gradmesser, wie schlimm es im Moment gerade ist.“
Trotz der kleinen Schwächen ist das Buch für alle zu empfehlen, die gern ungewöhnliche Biografien lesen und sich für ein Leben an der wilden Küste Norwegens interessieren, denn die Autobiografie Bickhardts ist genauso leidenschaftlich und stürmisch wie das Meer selbst.
von Jasmin Fuchs

Thomas Bickhardt mit Mirko Kussin
Windstärke 15
Ludwig 2024
288 Seiten
24,00 Euro
ISBN 978-3-453-28171-4