„Dass unsere Kultur kaum Wahlmöglichkeiten zwischen dem übermächtigen und dem erniedrigten Phallus, dem Über-Mann und dem vermeintlichen Schwächling bereithält, ernüchterte mich. Wie sollte ich in Ermangelung von Alternativen jemals aus meinem phallischen Käfig ausbrechen, eine Männlichkeit finden, mit der ich mich versöhnen konnte?“
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Auf Hugo Tepests literarisches Debüt 2023 mit der Essaysammlung Power Bottom, folgte im Jahr darauf der Roman Schreib den Namen deiner Mutter. Nun legt der Autor (erschienen noch unter seinem vorherigen Namen) erneut einen Essay vor, der sich mit der titelgebenden Frage, ob Penisse real sind, beschäftigt. In Form „einer post-phallischen Poetik“ dechiffriert Tepest das Verhältnis, in dem Penisse bzw. der Phallus zu Geschlecht und Körper stehen. Die kulturgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Dimensionen von Macht, Begehren und Gruppenzugehörigkeit werden analysiert und zeigen beispielsweise auf, inwiefern der Penis als Markierung von Männlichkeit historisch auf Kolonialismus zurückzuführen ist.
Tepest gibt Einblicke in die eigene Transition, die er in seinen 30ern begann. An den konstanten Reflexionsprozessen lässt der Autor die Leser*innen teilhaben – wie auch dazu, ob nur ein Penis einen Mann macht, aus dem das Buch entstanden ist. Folglich verwebt er memoirenhafte Sequenzen seiner transmaskulinen Identität mit dokumentarischen Elementen. Interviewberichte von Expert*innen wie einem Arzt, der Penisvergrößerungen durchführt oder einer Kulturwissenschaftlerin, die zu Pornografie arbeitet, sowie trans Personen und cis Männer, die ihre Erfahrungen mit ihren Penissen teilen, fügen sich in den Text zwischen persönlichen Schilderungen des Autors und seinen Reflexionen über die titelgebende Frage des Buches ein.
„Aber ich weiß genau, dass ich, zumindest bis auf weiteres, ein Mann bin, und will, dass Menschen genau das erkennen.“
Etwa die Schikane der Kostenstellungsanträge bei der Krankenkasse für Therapie oder geschlechtsangleichende Maßnahmen, z.B. einer Epithese, wird eindrücklich geschildert: „Allzu oft war ich in den Monaten zuvor schon darauf angewiesen, von mir selbst abzusehen, um das zu bekommen, was ich brauchte. Hatte mein Leid für fremde Ohren ausgeschmückt oder mich im Wartezimmer als „Frau Tepest“ aufrufen lassen müssen.“ Der Dualismus der medizinischen Möglichkeiten für eine Transition wird austariert. Einerseits kann durch einen Penoidaufbau eine Phalloplastik durchgeführt werden. Andererseits wird die Erektionsprothese mit hoher Wahrscheinlichkeit nach wenigen Jahren defekt und man verliert eines Tages, „was [man] nie besessen hat.“ Tepest legt die inhärenten Grenzen und deren Auswirkungen dar: „Sollte ich nie in meinem Leben eine Phalloplastik machen, dann sind praktische Bedenken und Ängste der Grund dafür. Nicht, dass ich es nicht will.“
Tepest berichtet von den affirmierenden Momenten der Geschlechtseuphorie durch Passing (= als trans* Person dem eigenen Geschlecht entsprechend gelesen zu werden) und wie er dadurch männliche Privilegien erreicht, aber auch vom Ausschluss aus der vorherigen Sozialisation: Frauen, die ihn „von ihren Umarmungen und von den Gesprächen über ihre Menstruation“ ausgrenzen, oder eine Freundin, die ihn nicht mehr mit in eine lesbische Bar nehmen wollte. An letzteres anknüpfend behandelt Tepest ebenfalls die Kritik, die Butches und Mascs innerhalb der lesbischen Community zuteilwerden kann, wenn sie sich für eine Mastektomie entscheiden, die sich gefährlich nahe an TERF-Ideologie entlangschlängelt. Der Autor kritisiert außerdem angeblich inklusive Räume, die sich dennoch nach äußeren Erscheinungsbildern richten und somit FLINTA* zum ausschließenden Begriff für transmaskuline oder -feminine Personen werden kann. Gleiches gilt für schwule Etablissements, wie die Berliner Männersauna Boiler, deren Einlasspolitik sich darauf beruft, dass die Personen „von [ihren] Mitarbeitern am Einlass in bekleideter Variante als Mann wahrgenommen werden“ müssen.
„Wie viele transmaskuline Personen scheute ich mich davor, ein Mann zu werden. […] Lieber wollte ich ein Junge bleiben.“
Tepest fängt eindrücklich das eigene Spannungsverhältnis mit Männlichkeit ein – gerade bei einer weiblichen Sozialisierung und feministischen Prägung. Der Autor legt die Diskrepanz zwischen seiner früheren Haltung zu Männlichkeit (, die ja aber auch auf seinen Erfahrungen beruhte) und dem heutigen Bestreben seine Männlichkeit zu finden, offen und spürt ihr ehrlich nach: „Die Tage der vermeintlich harmlosen Jungenhaftigkeit […] waren gezählt. Ich hatte meiner Männlichkeit die Samthandschuhe ausgezogen und stand mit leeren, geöffneten Händen da.“
Neben den sehr persönlichen Einblicken des Autors auch zu seinem eigenen Begehren und welche Rolle ein Penis dabei spielt oder nicht spielte, führt er auch Interviews, in denen andere Perspektiven zu Wort kommen: ein trans Mann mit Phalloplastik, eine trans Frau ohne bottom surgery, cis Männern mit Penissen von großer Größe oder starker Krümmung, mit Erektionsstörung oder die in hohem Ausmaß dem Chemsex frönen. Tepest hebt in Bezug auf seine cis männlichen Gesprächspartner hervor, wie sie sich in Gesprächen mit ihm bezüglich ihrer Beziehungen zu ihren Penissen geöffnet haben und Dankbarkeit äußerten, da sie darüber nicht einmal in Therapie sprächen. Der Autor resümiert, dass alle cis Männer von Scham und Unsicherheit bezogen auf ihren Penis berichten, da keiner davon sich zu Lust an geschlechtlicher Dominanz oder sexueller Macht bekannte. Folglich kommt Tepest zum Eingeständnis, „dass die Vorstellung, cis Männer müssten ihren Penis für sein Potenzial zur Dominanz lieben, eine Übertragung war, die womöglich mehr über [sein] eigenes Begehren aussagte.“ Auch wenn diese Erkenntnis aus den Gesprächen hervorgehen mag, lässt sich doch davon ausgehend, dass es sich bei der vorgestellten Auswahl um Interviewpartner handelte, die beispielsweise durch Sexarbeit als Beruf recht reflektiert in ihrer Beziehung zu ihrem Penis sein dürften und nicht stellvertretend für alle cis Männer stehen – schon gar nicht für selbst deklarierte Alpha Males.
Aber genau, weil cis Männer über ihr ambivalentes Verhältnis zum Phallus gesellschaftlich Stillschweigen bewahren – die toxischen Strukturen des Patriarchats wirken sich ebenfalls nachteilig auf Männer aus – klagt Tepest die Komplizenschaft von Männern an, die „so feministisch sie sich auch gebärdeten – sie verhinderten durch ihr Schweigen, die mit ihrer Männlichkeit verknüpfte Anerkennung aufzugeben“. Eine als respektabel angesehene Männlichkeit, die sich feministisch und queerfreundlich gibt, pseudo demütig die eigenen Privilegien aufzählt, in einer als Reflektion getarnte Zurschaustellung, bleibt performativ, da diese cis Männer faktisch nicht auf ihre Privilegien verzichten und „während sie als Feministen Anerkennung erfahren, […] sie weiter ihre „patriarchalen Dividenden“ [einfahren]“.
„Ich will, dass mein zweites Leben beginnt. […] Ich werde so leben, als würde ich sterben. […] Ich werde so schreiben, als würde niemand meine Worte lesen.“
Tepest kommt letztlich zu der Forderung, dass wir „den Penis weder vergöttern noch erniedrigen, sondern ihm als widersprüchlichen, aufgeladenen Körperteil auf Augenhöhe begegnen.“ Dieser Aufruf ist recht offensichtlich und speist die Diskussion vorschnell ab. Die titelgebende Frage des Essays wird mit einem sowohl als auch beantwortet, das zwar in sich stimmig ist, aber gerne auf mehr als knapp 130 Seiten ausgeführt hätte werden können. Die Impulse des Buches sind sehr vielversprechend und vor allem die persönliche Offenheit Tepests zu seinen Erfahrungen der Transition bereichern die Erzählung ungemein. Gerade deshalb wünscht man sich einen größeren Rahmen als den eines Essays, damit Platz für mehr Tiefe, die einen umfassenderen Anspruch hätte erfüllen können, ist. Hoffentlich ist die vierte Veröffentlichung des Autors in Aussicht!
Es ist eine besondere Freude Autor*innen anhand ihrer Veröffentlichungen zu begleiten und so auch bei Tepest, vor allem, da er sich mit der jüngsten Erscheinung wieder der essayistischen Textform widmet, die er so gut beherrscht. Die katholisch-religiösen Referenzen, die Power Bottom u.a. ausmachen schleichen sich auch hier in den Text und man erkennt den originellen Stil des Autors wieder. Für eine persönlich ehrliche sowie ausdifferenzierte Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Penissen aus einer transmaskulinen Perspektive ist Sind Penisse real? vonHugo Tepestzu empfehlen.
von Michaela Minder
Evan Tepest
Sind Penisse real? Ein Essay
Piper 2025
128 Seiten
20,00 Euro
ISBN 978-3-492-07354-7
