Ein Fernwander-Abenteuer durch die wilde Bergregion Kosovos, Nordmazedoniens und Albaniens
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Katharina Kestler (Kaddi), Antonia Schlosser (Toni) und Lisa Bartelmus – genannt „Die Bergfreundinnen“ und bekannt aus dem erfolgreichen BR-Podcast – berichten in Wilde Berge des Balkan von ihrer 170 Kilometer langen Wanderung auf dem High Scardus Trail. Ihr Weg führt sie innerhalb von zehn Tagen von Kosovo, über Nordmazedonien nach Albanien – immer auf der Suche nach der unberührten Wildnis Europas.
„Wo finden wir Wildnis, und wie können wir verantwortungsvoll davon berichten? Wie können wir die Faszination Wildnis selbst erleben, teilen und zugänglich machen, ohne sie zu zerstören?“
Das Buch gliedert sich in drei Teile – geschrieben von je einer der drei Frauen – und wird ergänzt von verschiedenen Interviews, welche Anja Woertge mit Einheimischen führte. Sie unterstützte die Bergfreundinnen bei der Tourenplanung und hielt die Fäden für das Buchprojekt zusammen. Obwohl Woertges Interviews eindrückliche und unterrepräsentierte Perspektiven sichtbar machen, sind sie leider nicht wirklich gelungen. Sie unterbrechen nicht nur den Lesefluss, sondern enthalten zum Teil auch ungünstig formulierte Fragen. Analea Stavrevska-Panajotova, Rangerin im Sar Mountain National Park in Nordmazedonien, wird beispielsweise nicht (zuerst) nach ihren Aufgaben oder Kompetenzen gefragt, sondern danach, wie es ist, als einzige Frau im Nationalpark zu arbeiten.
Trotz der Unterschiedlichkeit der drei Autorinnen gelingt es ihnen, eine gemeinsame Sprache und Erzählweise zu finden, die von Leichtigkeit und Lebensfreude geprägt ist, wodurch man nur so durch die Seiten fliegt. Gleichzeitig enthält das Buch viele ehrliche Reflexionen über den Umgang mit der Natur, miteinander und mit den Menschen vor Ort. Oft werden in diesen Überlegungen auch herausfordernde Themen wie Angst, Armut und Ablehnung aufgegriffen. Die Wildnis bietet außerdem Anlässe, um über verschiedene gesellschaftliche Fragen neu nachzudenken – ob aus Spaß, Ernst oder beidem.
„Fremder Mann oder Bär? Wen würdest du lieber im Wald gerade lieber treffen? […] Die meisten Frauen antworteten, ohne zu zögern mit „Bär“ […] und begründen, warum sie sich am Ende für den Bären entscheiden würden. Man würde mir glauben, dass der Bär mich attackiert hat. Oder: Nach einer Bärenattacke würde man mich nicht fragen, was ich dabei anhatte. Oder: Beim Bären wäre ich mir sicher, dass er mich nur töten würde.“
An verschiedenen Orten entdecken die drei Bärenspuren und bekommen Hinweise, wie sie sich verhalten sollen. Eine besondere Stärke des Buches liegt darin, dass an den passenden Stellen interessante Hintergrundinformationen über die drei Länder und ihre Geschichte eingeflochten sind. Vergleiche mit anderen Nationen und der Bezug zu verschiedenen Studien und erhobenen Daten ermöglich es, die neuen Informationen einzuordnen und mit möglichem Vorwissen zu verknüpfen. Die einzelnen Streckenabschnitte lassen sich dank der Karte – die durch die sehr farbenfrohe Gestaltung auf den ersten Blick leider etwas unübersichtlich wirkt– in den inneren Umschlagseiten gut nachvollziehen. In der Mitte des Buches sind zusätzlich 16 Farbseiten mit Fotos von der Reise enthalten, die vor allem die malerische Berglandschaft zeigen.
Hervorzuheben ist außerdem, wie gut es den drei Journalistinnen gelingt, ihr ehrliches Staunen zum Ausdruck zu bringen. Statt als überhebliche Besserwisserinnen sind sie mit aufrichtigem Interesse und herzlicher Dankbarkeit unterwegs. Dies zeigt sich unter anderem an ihrem Umgang mit dem herumliegenden Müll, der ihnen immer wieder begegnet. Statt sich nur über die Umweltverschmutzung zu beschweren, beginnen sie selbst aktiv etwas dagegen zu tun. Zusätzlich erläutern sie, dass der Müll nicht auf die Ignoranz oder Böswilligkeit einzelner Menschen, sondern auf die fehlende Infrastruktur zur Müllentsorgung zurückzuführen ist.
Interessant ist auch die zwischenmenschliche Dynamik zwischen den drei Frauen, die sich nicht nur unterschiedlich lang kennen, sondern auch einen deutlichen Altersunterschied haben. Während Kaddi und Toni sich bereits viele Jahre kennen und ohne Worte verstehen, ist Lisa „die Neue“ und „das Küken“. Trotz des erwachsenen, reflektierten und abgeklärten Verhaltens aller drei Frauen kommt es zu einigen Herausforderungen.
Lisa: „Noch fühle ich eine Distanz zwischen uns. Toni und Kaddi bemühen sich sehr, mich willkommen zu heißen, und dafür bin ich ihnen dankbar. Aber so eine richtige Freundschaft? Die haben wir noch nicht. Bis jetzt zumindest. Eine Freundschaft lässt sich nicht beschließen, sie braucht Zeit. Vielleicht entsteht sie. Vielleicht auch nicht.“
Einige Situationen sind vermutlich durch die Anwesenheit des Kamerateams verzerrt, welches die gesamte Reise begleitete. Diese Tatsache ist auch den drei Bergfreundinnen bewusst. Offen sprechen sie sie an und reflektieren nicht nur den Einfluss auf ihre Dynamik untereinander, sondern auch auf den Umgang mit Einheimischen und anderen Abenteuer*innen.
Trotz kleinerer Schwächen eignet sich Wilde Berge des Balkan für alle, die gern Berichte über Fernwander-Abenteuer lesen und ist besonders als seichter Einstieg in das Genre der Reiseberichte zu empfehlen.
von Jasmin Fuchs
Katharina Kestler, Antonia Schlosser, Lisa Bartelmus
Wilde Berge des Balkan
Ullstein 2025
224 Seiten
18,99 Euro
ISBN 9783864932243
