Julia Engelmann – Himmel ohne Ende
Julia Engelmann – Himmel ohne Ende

Julia Engelmann – Himmel ohne Ende

Selbstliebe auf Umwegen

CW: Mobbing, Suizidgedanken, Tod, Trauer

Himmel ohne Ende ist der Debütroman der erfolgreichen Poetry-Slammerin, Lyrik-Bestsellerautorin, Sängerin und Schauspielerin Julia Engelmann. In der feinfühligen Coming-of-Age-Geschichte begleiten wir die Ich-Erzählerin Charlie durch ein prägendes Jahr voller Zweifel, schwerwiegender Veränderungen und leiser Erkenntnisse. Es geht um Freundschaft, Familie und das Ich-Sein.

Charlie ist fast fünfzehn, ihre Noten sind nicht zufriedenstellend und in ihrem Bauch breitet sich zunehmend das furchtbare Gefühl aus, dass alle nur von ihr wegwollen:

  • Ihr Vater: Als sie sieben war, ist er einfach gegangen;
  • Ihre Mama: Seit sie ihren neuen italienischen Freund hat, der immer über Entfernungen redet und eigentlich gar kein richtiger Italiener ist, hat sie kaum noch Zeit für Charlie und ihre gemeinsame Lieblingsserie „Liebe auf Umwegen“;
  • Ihre Mitschüler: Sie mögen Charlie irgendwie alle nicht mehr;
  • Ihr Schwarm: Er beachtet Charlie nicht wirklich;
  • Ihre beste Freundin Kati, die nicht mehr ihre beste Freundin Kati ist, seit sie Charlie angelogen hat;
  • Aber auch sie selbst: Weil sie einfach zu still und zu komisch ist.

Immerhin hat Charlie noch Markus, ihr Einzelgänger-Meerschweinchen mit dem schwarzen Fleck ums Auge, mit dem sie zusammen allein sein kann.

„Morgens fragte ich mich, warum ich war, wie ich war und warum ich es nicht besser hinbekam, ich zu sein […].“

Es fühlt sich an, als wäre zwischen ihr und der Welt eine Glasscheibe. Nur ihre bescheuerten Gedanken sind immer an ihrer Seite. Und manchmal will sie am liebsten weg. Doch dann kommt nach den Sommerferien Pommes in ihre Klasse, der eigentlich Kornelius heißt und sich neben sie, auf Katis alten Platz setzt. Mit ihm erreicht sie von nun an den Bus nach der Schule, der immer viel zu schnell abfährt. Außerdem kann sie mit ihm über fast alles reden. Über den Himmel, der manchmal aussieht wie ein Pool, in den man reinspringen kann und wer sie so sind und das alles.

„Ein komisches Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, das schwer zu beschreiben war, wie Vorfreude, Vorfreude auf etwas, das schon längst hier war.“

Als Charlie beschließt, dass sie nicht mehr alles verpassen will, wird aus der Glasscheibe ein Autofenster, das Charlie herunterkurbeln kann. Zum ersten Mal seit Langem hält sie wieder ihre Hand in den Wind. Und irgendwie muss Charlie es schaffen, das Leuchten, das ihr die Freundschaft mit Pommes zurückgebracht hat, auch allein beizubehalten.

Mit Charlie hat die Autorin eine authentische Figur geschaffen, deren kostbaren Momente des Glücks ebenso eindrücklich spürbar sind wie ihre Unsicherheit, Verletzlichkeit, Sehnsucht nach Zugehörigkeit, aber auch Überforderung mit allem und vor allem mit sich selbst. Die Themen mentale Gesundheit, Selbstwert und Einsamkeit werden im Roman mit großer Sensibilität und ehrlicher Nähe behandelt. Die Sprache von Julia Engelmann ist gewohnt poetisch. Sie schafft eindrucksvolle Bilder und verleiht den Emotionen eine eindringliche Tiefe. Immer wieder greift sie zentrale Motive auf und verwebt sie mit der Handlung, wodurch ein stimmiges und atmosphärisches Gesamtbild entsteht.

Himmel ohne Ende ist ein kraftvoller Roman, in den man wie in einen himmelweiten Pool hineinspringt – mitten hinein in die Flut der Gefühle.

von Hannah Bockemühl

Julia Engelmann
Himmel ohne Ende
Diogenes 2025
336 Seiten
25,00 Euro
ISBN 978-3-257-07323-2

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