Zwischen Predigt und Protest: Caroline Schmitts Monstergott
—
Caroline Schmitts zweiter Roman Monstergott ist in aller Munde und besticht in einer Zeit, in der Influencer evangelikaler Freikirchen von ihrem „Jesus Glow” berichten, vor allem mit seiner Aktualität. Das Thema ist an sich nichts neues: Aufwachsen in einer fundamentalistisch geprägten Glaubensgemeinschaft. Auch die Konfliktpunkte, die die Handlung in Gang bringen, finden sich oftmals in der Kritik an Kirchen und religiösen Gemeinschaften wieder: Homosexualität und die Stellung der Frau in der Gemeinde.
Die Geschwister Esther und Ben treten als gleichberechtigte Protagonist*innen auf, der Roman wechselt kapitelweise zwischen den beiden Erzählperspektiven. Die biblischen Namen verweisen bereits auf ihren Hintergrund: Beide wachsen in einer evangelikalen Freikirche auf, die fundamentalistische Glaubensüberzeugungen vertritt – und beide versuchen sich im Laufe des Romans aus diesen Überzeugungen zu befreien.
Die erste Hälfte des Buches scheint etwas oberflächlich. Vieles wirkt wie schon einmal gelesen, die Figuren bewegen sich auf bekannten Bahnen, und der Text bietet kaum neue Einsichten in die Mechanismen von religiösen Gemeinschaften. Schmitt versucht hier zu viele Aspekte aufzugreifen, wie Reversionstherapien, der übertriebene Fokus auf Ehe und Kinder, das strenge Gemeindeleben, etc. Manche Aspekte kommen dadurch zu kurz und die Handlung lässt sie sehr schnell hinter sich, wodurch es am Ende eher zu einem „Ach, das ist ja auch passiert“ Moment kommt.
Erst in der zweiten Hälfte geht es ans Eingemachte und es wird hinter die Kulissen geblickt: Schmitt legt die Schichten der Manipulation frei, zeigt die Ambivalenz der Bindung an eine Gemeinschaft und die Mühen des Ablösungsprozesses. Spannend dabei sind vor allem jene Momente, in denen die Protagonist*innen auf ehemalige Mitglieder der Gemeinde treffen. Der Roman zeigt hier seine Stärke darin, die inneren Konflikte des Geschwisterpaares tiefer zu untersuchen und zu entfalten. Während Ben mit seiner Sexualität kämpft, versucht Esther als Frau mehr Verantwortung in der Gemeinde zu übernehmen, was ihr der Pastor mit Verweisen auf die Bibel untersagt. Die beiden führen ein Gespräch über die Stellung der Frau in der Kirche, in dem ähnliche Argumente und Bibelverse herangezogen werden, wie bei der Debatte in der katholischen Kirche. Diese Szene zeigt, neben vielen anderen, wie widersprüchlich Auslegungen der Bibel sein können. Dabei verweist der Text über die Bibel hinaus – sie zeigt nur exemplarisch, wie Aussagen verschieden aufgegriffen und instrumentalisiert werden können. Besonders überzeugend gelingt dabei die Demaskierung des Pastors. Seine subtilen Manipulationstechniken wirken beklemmend realistisch und lassen sich mühelos auf charismatische Redner*innen in Politik, Wirtschaft oder Lifestyle-Szenen übertragen. Hier erreicht der Roman eine gesellschaftliche Relevanz, die weit über den engen Schauplatz hinausweist.
Als Emanzipationsgeschichte zeigt Monstergott eindringlich, dass Befreiung kein geradliniger Prozess ist und sich nicht automatisch gut anfühlt. Es macht deutlich, dass Aufbruch mit Schmerzen, Unsicherheit und Verlust verbunden ist. Eine Stärke des Buches ist, dass es eine differenzierte Position einnimmt, wenn es um die Beziehungen zwischen Glaube und Kirche geht. Die Figuren sehnen sich nach Halt und Leitung in einer komplexen Welt – eine Sehnsucht, die Viele teilen. So führt nicht der Glaube zu den missbräuchlichen Strukturen, sondern die Instrumentalisierung ebendessen. Somit bedeutet der Austritt aus der Kirche für die Protagonist*innen nicht zwingend eine Abkehr von Gott – es beginnt dadurch vielmehr ihre Suche nach einem subjektiven und freien Glauben.
Ein Roman, der Anlauf braucht, aber schließlich seine Stärke entfaltet. Wer Geduld mitbringt, wird belohnt mit einem vielschichtigen Blick auf Macht, Manipulation und die Mühen der Selbstbefreiung.
von Judith Albert

Caroline Schmitt
Monstergott
park x ullstein 2025
272 Seiten
23,00 Euro
ISBN 9-783988-160546