Ein harmloses Wochenende an der Ostsee? Nicht mit Christian!
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CW: Essstörungen, Gewalt, Krankheiten, Sexismus
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Schöne Scham von Bianca Narawth ist eine Geschichte über zwei befreundete Paare und eine Single-Freundin, die gemeinsam ein Wochenende an der Ostsee verbringen. Obwohl die fünf Menschen sehr unterschiedlich sind, ahnt am Anfang niemand, wie viel Eskalationspotenzial diese Idee birgt, weil alle so sehr mit ihrer Selbstinszenierung beschäftigt sind.
In lockerem Ton und mithilfe von teils ungewöhnlichen Wortkombinationen, genannt Puzzle-Worte, erzählt Nawrath aus drei Perspektiven von Beziehungsproblemen, Freundschaften und beruflichen Herausforderungen. Abwechselnd wird aus der Sicht der drei Protagonistinnen Kata, Ola und Amalia berichtet. Der Roman schwankt zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang und in scheinbar harmlosen Alltagsituationen werden toxische Machtverhältnisse sichtbar.
„Selbst wenn ich so naiv gewesen wäre, zu glauben, dass sie in meiner Abwesenheit nicht über mich geredet haben, spätestens an Amalias fürsorglicher Art, Lennys mitleidigem Blick und Katas vorgeschobener Unterlippe hätte ich erkannt, dass mein Leben Thema war.“
Die Autorin jongliert mit aktuellen Themen wie Scham und Schuld, weiblichem Begehren und patriarchalen Strukturen, sowie gesellschaftlichen Erwartungen an Beziehungen, Karriere und „das perfekte Leben“. Die Handlung wird nicht nur geschickt mit politischen Fragen verknüpft, sondern auch mit den Stufen der Entwicklung einer Raupe zum Schmetterling, welche die Kapitel gliedern.
„Monogamie ist in Olas Augen doch nur ein patriarchales Konstrukt, das Frauen in Abhängigkeit zwingt. Sie ist einfach lässiger als ich. Lässiger, cooler, 2025 eben. Aber ich kann das auch. Ich muss das auch können.“
Das Buch wagt den Diskurs zwischen Menschen mit sehr verschiedenen Ansichten. Durch die polnische Single-Frau Ola werden Fragen gestellt, die nicht nur die vier Romanfiguren, sondern auch die Lesenden zum Nachdenken anregen. Klischees werden dekonstruiert, ohne den Zeigefinger zu erheben. Die Autorin schafft es, Widersprüche aufzuzeigen und trotz aller Ambivalenz im Dialog zu bleiben. Schwierigkeiten werden als solche anerkannt, ohne sie vorschnell zu lösen.
„Ich bin es gewohnt, von Leuten umgeben zu sein, die mir Meinungen spiegeln, die ich eh schon habe. Ola traut sich Widersprüche zu, innere wie äußere, und wirkt dabei nicht mal, als wäre Widerspruch etwas, das man sich trauen muss.“
Der Roman überzeugt durch abwechslungsreiche Dialoge, eine ungewöhnliche Sprache und lässt sich sehr schnell lesen. Er lädt dazu ein, Widersprüche auszuhalten und sich gleichzeitig um Verständnis zu bemühen.
von Jasmin Fuchs

Bianca Nawrath
Schöne Scham
Frankfurter Verlagsanstalt 2025
256 Seiten
24,00 Euro
ISBN 9783627003326