Die Beste sein
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Verena Keßlers dritter Roman Gym liest sich wie eine Cautionary Tale zu exzessivem Ehrgeiz und Gym Culture. Die namenlose Protagonistin ist Ende dreißig und will unbedingt eine Anstellung im MEGA GYM. Als Besitzer Ferhat sie beim Vorstellungsgespräch darauf anspricht, dass die Mitarbeitenden auch physisch, ästhetisch den Lifestyle des Fitnessstudios verkörpern müssten, erfindet sie die Ausrede, dass sie gerade erst entbunden hätte. Gnädigerweise deklariert er sich als Feminist und die Protagonistin bekommt den neuen Job. Die Lüge und alle darauffolgenden, um das Konstrukt aufrecht zu erhalten gehen der Protagonistin leicht von den Lippen, auch wenn sie genervt vom Aufwand dazu ist: „,Wie heißt der Kleine eigentlich?‘ Meinegütewasdennnoch. Ja, wie hieß der? Ein Name, irgendein Name. Es musste nicht der schönste Name der Welt sein, andere nannten ihr Kind Rumble Honey oder Slim Easy, sag einfach irgendwas, du darfst nicht darüber nachdenken, das ist verdächtig, du musst antworten, jetzt: ,Ferhat‘, sagte ich.“
Die Lüge der harten Arbeit, die vermeintlich allein zum Erfolg führt
Die Protagonistin beginnt also selbst mit dem Training, um besagter Außenwirkung einer Angestellten im MEGA GYM gerecht zu werden. Anfänglich noch widerspenstig, doch sobald sie merkt, dass es dabei was zu holen gibt – die Leistung und Disziplin ist unmittelbar sichtbar – ist sie vom Ehrgeiz gepackt. Die Spirale der Obsession steigert sich immer mehr und Keßler analysiert die Bereitschaft zur Selbstzerstörung im Wahn des immer höher, weiter, besser. Fragmentarische Rückblenden lassen erahnen, dass der erbitterte Wettkampf mit der Konkurrenz sowie Identität und Selbstwert durch Leistung zu definieren schon mal zur Eskalation im Leben der Protagonistin geführt haben. Eine Vergangenheit in einem High Profile Job, welcher nicht genau erklärt wird, aber auf etwas wie Unternehmensberatung schließen lässt, kam zu einem jähen Ende. Die Konsequenz: Freiheitsstrafe, weshalb die Protagonistin auch auf den Job im MEGA GYM angewiesen ist, um die Auflagen ihrer Bewährungshelferin zu erfüllen. Spannungsgebannt fliegt man durch die knapp 200 Seiten mit der dunklen Vorahnung, dass es auch in dieser Welt zum Eklat kommt.
Ein Roman in drei Sätzen
Besonders sticht der bissig witzige Ton hervor, der Gym unfassbar unterhaltsam macht. Die Handlung fesselt und die Milieustudie der Fitnesswelt legt ihre tiefen Abgründe selbst im Amateurbereich offen. Eine Empfehlung für die kurzweilige Erzählung über Kontrolle, ihren Verlust sowie eine Reflexion über die Leistung des Scheiterns!
von Michaela Minder

Verena Keßler
Gym
Hanser Berlin 2025
192 Seiten
23,00 Euro
ISBN 978-3-446-28163-9