Daniel Schreiber – Allein
Daniel Schreiber – Allein

Daniel Schreiber – Allein

Das suchende Ich

Daniel Schreiber ergründet in seiner Essaysammlung Allein verschiedenste Aspekte der Einsamkeit und des Alleinseins. Welche Gefühle und Normen dahinterstecken und wie die Pandemie das Wörtchen ‚Allein‘ noch einmal auf eine ganz neue Ebene hebt, sind ebenso Teil seiner schriftlichen Erkundung wie einige Facetten aus Politik und Gesellschaft, die mit dem Gefühl, Konzept und der Lebenseinstellung verbunden sind. Dabei bezieht er immer wieder zahlreiche Überlegungen von Schriftsteller:innen, Philosoph:innen und Kulturwissenschaftler:innen ein – das Ergebnis ist ein überzeitlicher philosophisch-kultureller Dialog.

„Diese Fantasie eines guten Lebens ist mehr als eine individuelle Fantasie.“ (S. 29)

Eine besondere Qualität erhält Allein durch die persönlichen Einblicke in die Lebenssituation des schreibenden Ichs, wobei besonders der Umgang mit der Pandemie und das Gefühl, ausweglos allein zu sein, herausstechen. Dabei betont Schreiber besonders die Bedeutung von verschiedenen Freundschaftsbeziehungen, die ohne eine romantische oder intime Liebesbeziehung wahre Ankerpunkte für das Ich darstellen. Schreiber kommt nicht umhin die gesellschaftliche Konnotation dieses Alleinseins zu beschreiben, das als individuelles Scheitern wahrgenommen wird. Doch damit nicht genug, wendet sich Schreiber den unterschiedlichsten Arten der Einsamkeit sowie eines Lebens im Alleinsein zu. In acht verschiedenen Essays stellt er dabei diverse Thesen auf, schafft zahlreiche bildnerische Vergleiche, die oftmals in die Natur entführen und schließlich mit einer Infragestellung der Argumentation enden.

„Wir verändern uns, verändern uns die ganze Zeit. Und wir vergessen, vergessen, auch wenn wir es nicht wollen, wer wir einmal waren. Wir brauchen Menschen, die uns genau davor bewahren.“  (S. 17)

Allein sein in der Natur, das Weglaufen vor sich selbst oder die Interaktion mit Fremden sind nur einige Punkte, die in Allein zur Sprache kommen. Ebenso findet sich Kritik an der Überlieferung von heterosexuellen weißen Männerfreundschaften, der Entfremdung und das Alleinsein während der Pandemie sowie das Sprechen und Tabuisieren von Einsamkeit in seiner Essaysammlung wieder. Schreiber weist dabei genauso auf die uneindeutigen Verluste während der langanhaltenden Ausnahmesituation hin, wie er private Einblicke in sein Leben in Sachen Sexualität und den gesellschaftlichen Umgang mit normabweichenden sexuellen Identitäten gibt. Jedoch sind nicht nur negative Facetten des Alleinseins aufgeführt, sondern auch dessen Schönheit, die Erkenntnis, dass Trauern nicht unbedingt endlich ist oder der innere Friedensschluss mit sich selbst – das Glück am Leben zu sein.

„Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, eine existentielle Erfahrung. Vielleicht auch eine notwendige.“ (S. 112)

Daniel Schreibers Allein wird nicht jeder:m gefallen, was auf das hohe sprachliche Niveau und teilweise die inhaltliche Überzeugung zurückzuführen ist. Jedoch bietet die Essaysammlung erhellende Momente, ist offen sowie schonungslos geschrieben und lässt die Lesenden, die es bis zum Ende geschafft haben, langanhaltend zurück.

von Paula Heidenfelder

Daniel Schreiber
Allein
Hanser Berlin 2021
160 Seiten
20 Euro

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