„Glaubst du an das menschliche Herz? Ich meine natürlich nicht einfach das Organ, sondern spreche im poetischen Sinn. Das Herz des Menschen. Glaubst du, dass es so etwas gibt? Etwas, das jedes Individuum besonders und einmalig macht?“
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Nobelpreisträger Kazuo Ishiguros neuer Roman Klara und die Sonne verbindet lebensphilosophisches Drama und Sci-Fi in einem Werk. Das Buch handelt von Klara, einer solarbetriebener KF, eine künstliche Freundin, deren einziger Lebenszweck es ist, dem Kind, das sie kauft, eine Gefährtin zu sein. In Klaras Fall ist dieses Kind die 14-jährige kränkliche Josie, die zusammen mit ihrer Mutter weit weg von der Stadt auf dem Land lebt. Aber Karas Aufgabe ist nicht so einfach, wie sie sich im ersten Augenblick vielleicht anhört. Denn es ist eine trostlose Welt, in der sie und die Familie leben, eine Welt voller Risiken und hoher Erwartungen, besonders für Kinder. Und Josies gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich noch dazu immer mehr.
Dafür sorgen, dass die Geschichte sich trotz der düsteren Rahmenbedingungen nicht allzu düster liest, obliegt Klara. Einen liebenswerteren Charakter hätte Ishiguro kaum schreiben können. Ihre Unschuld, ihr Eifer, zu helfen, ihr Glaube und ihre Beobachtungsgabe, die ihr dabei hilft, die kleinsten Dinge zu bemerken, um ihnen die größte Bedeutung beizumessen, konfrontiert die Leser*innen immer wieder mit der Überlegung, ob Klara als Roboter oder Mensch angesehen werden sollte. Von der Frage, worin Menschlichkeit besteht, bis hin zu Menschen, die ersetzbar wie Roboter werden – Klara und die Sonne nutzt eine scheinbar ereignislose Geschichte, um Themen des Trans- und Posthumanismus zu erforschen, und das auf eine zutiefst philosophische und religiöse Weise.
Es muss allerdings erwähnt werden, dass Ishiguro auch in diesem Roman seiner Angewohnheit verfällt, nur sehr wenige Informationen über die Welt, in der seine Geschichte spielt, preiszugeben. Und dies auch nur zwischen den Zeilen. Obwohl es durchaus Spaß machen kann, zu versuchen, die Rätsel und Geheimnisse um Klaras Welt und Josies Krankheit zu lösen, fehlen doch immer wieder Informationen, um einige der Handlungs- und Storyelemente wirklich nachvollziehen zu können. Ishiguro scheint es bei seinen Werken allerdings nie darum zu gehen, die Leser*innen über alles in Kenntnis zu setzten. Vielmehr geht es ihm wohl darum, sie mal auf die falsche Fährte zu führen, mal Raum zur (Selbst-)Reflektion zu geben. Somit übersteigt Klara und die Sonne die Vorstellungen eines generischen Sci-Fi-Romans und lässt einen immer wieder mit der Frage zurück, was es ist, dass einen Menschen ausmacht und ob wir alle wirklich so einzigartig sind, wie wir es uns das ein oder andere Mal einreden.
von Amira Hajredini
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Kazuo Ishiguro
Klara und die Sonne
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Karl Blessing 2021
352 Seiten
24,00 Euro