Rezensöhnchen @ Leipziger Buchmesse 2025
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Vom 27. bis 30. März trafen sich Verlage, Autor*innen, Medien und Leser*innen dieses Jahr unter dem Motto Worte bewegen Welten. Die Leipziger Buchmesse 2025 fand wieder zusammen mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig liest statt. Auch das Rezensöhnchen war dabei:
Am Donnerstag, dem 27. März 2025 öffnete die Leipziger Buchmesse wieder ihre Türen für Lesebegeisterte, Branchenexpert*innen und Fachbesucher*innen. Rezensöhnchenmitglied Friederike warf sich gleich ins (noch) angenehme Getümmel der Messehallen und ließ sich von Stand zu Stand treiben. Mission des Tages war es, die Messe ganz ohne Termindruck auf sich wirken zu lassen und vielleicht die ein oder andere Veranstaltung oder Messestand zu entdecken, die man ohne den Zufall nie finden würde. So beispielsweise den Buchtalk von Marie Grasshoff zu ihrer Reihe „Die Chaos-Chroniken“, moderiert von Anabelle Stehl. Grasshoff und Stehl betreiben seit einiger Zeit einen Podcast zusammen (Interessiert mich (nicht)) und die Vertrautheit miteinander wertete das Gespräch zu einer unterhaltsamen Veranstaltung auf, bei der man nicht nur lernte, warum die fünf Wölfe Rahs beinahe fünf Kühe geworden wären, sondern auch, welche Herausforderungen im Vokabular von High Fantasy Welten stecken, die gerade erst in der industriellen Revolution angekommen sind.
Danach wurde weiter durch Messehallen geschwommen, vorbei an den langen Warteschlangen der Buchmerchandise-Stände und Dark-Romance-Autorinnen, bis schließlich an der großen Bühne von Halle 3 eine Pause eingelegt wurde, um die Vorstellung der nominierten Bücher für den Jugendliteraturpreis (https://www.jugendliteratur.org/nominierungen-2025/c-103) zu besuchen. „Eine Nominiertenliste ist nochmal ausführlicher eine Bestandsaufnahme des vergangenen Jahres durch die Brille der Kinder- und Jugendliteratur – Was ist da auffällig?“ Der Preis wird erst auf der Frankfurter Buchmesse 2025 final verliehen, aber bis dahin hat man genügend Zeit sich den Nominierten zu widmen, um diese Frage selbst zu beantworten. Erst zum zweiten Mal wurden die Nominierten auf der LBM vorgestellt, wobei die Herausstellung von Illustrator*innen durch den Sonderpreis „Neue Talente“ als besonders schön zu beachten ist; eine Initiative, die besonders in Zeiten von KI-Kunst relevanter denn je ist. Die Vorstellung der Titel der Jugendjury war ein besonderes Highlight der Veranstaltung, da die sechs Leseclubs aus ganz Deutschland ihre jeweiligen Nominierungen auf kreative Weise in Szene setzten. Ein Roman über Klimaaktivist*innen wurde beispielsweise mit der Inszenierung eines kleinen Demozugs vorgestellt.
Nach der Veranstaltung konnte man auch fast sitzenbleiben, um 16 Uhr gab es ein Gespräch zu BookTok und wie diese Nische auf der Social Media App TikTok die Buchbranche verändert. Nach einer kurzen Marktanalyse durch Deniz Ulucan, Leitung Buch & Marktforschung von Media Control, die sich ein wenig wie eine Vorstandssitzung präsentierte, gab es eine einführende Fragerunde zur Plattform selbst. Moderiert von Sophie Münzberg, Publisher Manager bei TikTok Deutschland, stellten sich Bestseller-Autorin Josi Wismar, BookTokerin Jess Hegel (@itsjessamess) und Felicia Hofman vom dtv-Verlag den Fragen, die allerdings eher einführend anmuteten. Abgesehen davon, dass es den Hashtag #BookTok schon seit 2020 gibt und die Reichweite davon seit 2022 definitiv nicht zu ignorieren ist, enthüllte die Veranstaltung wenig Neues über das Phänomen BookTok. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Themen, Nutzer*innen und Creator*innen blieb aus, stattdessen wirkte die Veranstaltung wie eine schwach getarnte Werbeanzeige für TikTok selbst.
#LBM25 startete für Redaktionsmitglied Michaela am Freitag, den 28. März, mit einer Veranstaltung des Gastlands Norwegen. Der Autor Oliver Lovrenski stellte in einem Gespräch, geführt von Tilla Fuchs, gemeinsam mit der Übersetzerin Karoline Hippe, sein Debüt bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann vor. Gerade für das Verfassen der Rezension war das Interview die perfekte Ergänzung, da Hippe über den umfassenden Übersetzungsprozess berichtete und Lovrenski beispielsweise klar deklarierte, dass er mit dem Roman keine Anklage gegen das System erheben wollte, dafür hätte es auch ein Leitartikel getan, denn man müsse es nicht laut sagen, es reiche aus, die Geschichte der Protagonisten und ihrem Milieu erzählen. Besonders eindrücklich war das hohe Selbstbewusstsein, das aber nicht abgehoben, sondern schlicht fundiert auf seinem jungem, aber steilen Erfolg basiert: „Das nächste [Buch] wird gut werden, besser hoffe ich, aber es wird ganz anders.“
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat den Messefreitag als Karrieretag auserkoren und bot ein umfangreiches Angebot an Gesprächen mit Einblicken sowie Tipps und Tricks für den Einstieg in die Buch- und Medienbranche an. Eine Podiumsdiskussion, moderiert von Dr. Stefan Hauck befasste sich mit dem Thema Bewerbungen. Simone Klesel und Jessica Isselbacher als Personalerinnen bei den Verlagshäusern S. Fischer und Penguin Random House erzählten, welche Einflüsse Optik im Bewerbungsgespräch bzw. bereits in der –mappe hat, während Nicola Lehmann, als frischgebackene Buchhändlerin und Sprecherin der Taskforce Karriere:Buch der Zukunfts-AG des Börsenvereins verriet, wie sie bei ihren Bewerbungen Erfolg hatte. Tobias Hauck, Ausbildungsleiter von Thalia Leipzig, erweiterte das Gespräch speziell um den Fokus Ausbildungen, da nicht alle Lesebegeisterten mit einem Germanistik-Master bei einem Verlag einsteigen möchten. Der souveräne Umgang mit Auszeiten im Lebenslauf, warum Jessica Isselbacher entgegen ihren Mitdiskutierenden von Bewerbungsfotos abrät und wie Online-Bewerbungsbespräche zu meistern sind wurden von den Mitwirkenden unterhaltsam und vor allem informativ erklärt. Für Interessierte, die sich selbst beruflich in der Buch- und Medienbranche sehen, ist der Karrieretag eine hilfreiche und zu empfehlende Veranstaltungsreihe des Fachprogramms.
Für Redaktionsmitglied Michaela endete der Freitag mit einem Interview von Mattia Insolia abseits des Messegeländes, das von Johannes Hampel gedolmetscht wurde. Die Motive von Insolias zweitem Roman Brennende Himmel wurden in ihrem Ursprung und ihrer Entwicklung unterhaltsam besprochen und der Autor gab ganz bereitwillig Einblicke in seine eigene Kindheit, sein eigenes Erwachsenwerden im Vergleich zu den Protagonist*innen. Insolia live zu erleben, seine sympathische Art kennenzulernen und zu erfahren, dass bereits nächstes Jahr das dritte Buch erscheint, lässt noch gespannter die Neuerscheinung erwarten.
Auch am Freitag konnte man sich wieder der Literaturpreislandschaft widmen, denn die jährliche Verleihung des SERAPH, dem Preis für Phantastik, fand zum 14. Mal auf der Leipziger Buchmesse statt. Seit 3 Jahren wird der Preis aus der Großen Bühne in Halle 3 verliehen, Freitagnachmittag um 16 Uhr füllten sich die Sitzplätze rasend schnell.
Ins Leben gerufen von Oliver Graute, der langjähriger Vorsitzender der Phantastischen Akademie war, widmet sich dieser Literaturpreis den fantastischen Genres und ehrt jedes Jahr das Beste Buch, den Besten Independent-Titel und das Beste Debüt. Auffällig in diesem Jahr war, dass alle geehrten Bücher sich dem Genre der Dystopien zuordneten und eine Betonung auf queerinklusive Figuren gelegt wurde. In der Eröffnungsrede sprach die erste Vorsitzende der Phantastischen Akademie, Hanka Leo, davon, welchen großen Zusammenhang es zwischen aktuellem Weltgeschehen und den geehrten Titeln gab, welches Bedürfnis die Kunstschaffenden zeigen, sich mit den politischen Zwischentönen unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen und wie wichtig diese Arbeit ist. Den SERAPH für den besten Indepentent-Titel gewann Kai-Holger Brassel mit seinem Buch All An!, ein apokalyptischer Ausblick auf die Menschheitsgeschichte gestreckt über 100 Jahre. In der Kategorie Bestes Buch gewann zum dritten Mal die Autorin Theresa Hannig, dieses Mal mit ihrem Titel Parts Per Million – Gewalt ist eine Option, ein hochaktuelles Buch, dass sich mit Klimaterrorist*innen befasst. Der wichtigste Preis des Tages ging an Freya Petersen für das Beste Debüt mit ihrem Buch “Die Mutter der Masken – Säure, ein Roman darüber, wie man aus Versehen eine Rebellion ankurbelt. Bei der diesjährigen Preisverleihung wurde zum ersten Mal der Ehren-SERAPH verliehen, um die langjährige gemeinnützige Arbeit von Oliver Graute zu ehren, der sich offiziell aus der Phantastischen Akademie zurückgezogen hat, nachdem er über 10 Jahre den Preis gehegt und gepflegt hatte. Wer nach der Preisverleihung neugierig auf die Siegertitel war, konnte sich abends ab 19:30 Uhr im Anker in Leipzig zur Langen Nacht der Phantastik einfinden, in der die drei Gewinner*innen aus ihren Büchern vorlasen, unterstützt von den Autor*innen Markus Heitz, Lisanne Surborg und Liza Grimm.
Der Samstag wartete nicht nur mit regelrechten Besucher*innenmassen auf. Neben dem regulären Programm gab es auch diverse Vorträge, denen man lauschen konnte, wenn man nicht geradezu verzaubert in der Halle 1 mit der Artist Alley und den unterschiedlichsten beeindruckenden Cosplayern unterwegs war.
In der Veranstaltung „New Adult und Webtoons“ klärte der noch recht junge Verlag Papertoons nicht nur über sein neues Programm auf, sondern ging auch auf die allgemeinen Komplexitäten in Webtoons ein. So mögen die aus dem Koreanischen übersetzten Manhwa-Geschichten von außen zwar etwas kitschig aussehen, von innen sind sie jedoch überaus düster, mit politischen Intrigen und anspruchsvolleren Inhalten. In Papertoons neuer Veröffentlichung How to win my husband over werden beispielsweise Themen wie Traumata, Misshandlung, Essstörungen und eine dysfunktionale Familie behandelt, mit denen sich die Protagonistin Ruby als Tochter des Papstes und dessen Schachfigur behaupten muss.
Papertoon ließ sich auch hinter die Kulissen blicken. So entscheidet der Verlag sich unter anderem basierend auf Leser*innenwünschen für seine neuen Lizenzen. Auch wichtig sind natürlich Trends in Korea und bei Lizensierungen im Ausland sowie Empfehlungen von Agenturen, mit denen sie zusammenarbeiten.
Ebenso maßgeblich für eine Lizensierung ist die Frage nach der Länge der Reihe und natürlich, ob sie überhaupt ins Programm passt und sich verkaufen lässt. Und selbst wenn von Seiten Deutschlands alles passt, gibt es aus Richtung Koreas manchmal schlichtweg kein Interesse an einer Lizensierung. Aber nicht verzagen, wenn die Übersetzung einer eurer Lieblingsreihen auf sich warten lässt. An einer einzelnen Lizenzverhandlung saß Papertoons wohl ganze zwei Jahre.
Das direkt daran anschließende Q&A Romantasy mit den Autorinnen Nina MacKay, Kim Leopold und Erin K. Wilde begann mit einer Diskussion über die Vor- und Nachteile von regulärem und Self Publishing. So bietet Letzteres Autor*innen mehr Freiheiten was Cover, Inhalte und Marketing angeht, dafür muss aber auch alles selbst gemacht beziehungsweise bezahlt werden.
Das Gespräch driftete dann ziemlich schnell in eine Diskussion zu Spice-Leveln in Büchern ab, da diese Inhalte immer mehr im Mainstream ankommen und besonders auf BookTok als Vermarktungstool verwendet werden. Als negativer Nebeneffekt führt das wohl dazu, dass Autor*innen sich gezwungen fühlen, Spiceszenen zu schreiben, um ihre Bücher bewerben zu können. Nina MacKay wurde sogar von Verlagen nahegelegt, dass sie mehr solcher Szenen in ihren Büchern einbringen solle.
Dennoch ließen die Autorinnen es sich nicht nehmen, ihre eigenen Bücher wie auch Fifty Shades of Grey auf einer Spice-Skala einzuordnen. Da ihnen allen das Wort „Chillischote“ bei der allgemein genutzten Chillischotenskala entfallen war, wurden die Bücher, sehr zur Belustigung des Publikums, durch eine Anzahl von Spitzpaprika oder Pfefferkörnern eingeordnet.
Der diesjährige Messesamstag stand jedoch ebenfalls im Zeichen der digitalen Medien und befasste sich intensiv mit dem Umgang mit künstlicher Intelligenz im Alltag und Berufsleben von Journalist*innen, Autor*innen, Grafiker*innen und anderen Kreativen. So beschäftigte sich die Podiumsdiskussion am frühen Nachmittag mit der Frage „Wie gehen Künstler*innen verschiedener Sparten mit KI um?“. Die Diskutierenden Clara Herrmann, Leiterin der JUNGEN AKADEMIE der Akademie der Künste, der Autor/Künstler Felix Kraus (@swan.collective) sowie Bastian Lomsché, dramaturgischer Leiter am Magdeburger Theater, sprachen über ihre Arbeitsweisen (von VR, Film bis Animation) sowie die Annehmlichkeiten und Herausforderungen von KI während des kreativen Schaffensprozesses. Im Mittelpunkt stehe, so Kraus, nach wie vor die Auseinandersetzung mit den eigenen Ideen und dem Fokus auf dem Menschlichen hinter jeder künstlerischen Entscheidung, die von KI zwar unterstützt, aber nicht gänzlich ersetzt werden können. Man solle KI daher eher als Werkzeug verstehen statt als finales Produkt.
Am Stand von CORRECTIV folgte dann ein Vortrag über die Anwendung von KI in Medien und Journalismus sowie deren Vorteile und Gefahren. Von besonderem Interesse war hierbei der Fokus auf Fake News und Verschwörungserzählungen sowie deren Omnipräsenz im digitalen Raum und dem einen oder anderen deutschen Wohnzimmer. Bastian Schlange, seit 2020 inhaltlicher Leiter des CORRECTIV. Verlags, sprach dabei bildhaft über die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen und die Notwendigkeit eines unabhängigen Journalismus, der gerade in Krisenzeiten besonders unverzichtbar sei. Durch das Internet scheint die öffentliche Meinungskultur zwar demokratischer denn je, doch förderten, so Schlange, Algorithmen totalitäres Denken und seien lediglich darauf ausgerichtet, uns durch „stromlinienförmigen Content“ möglichst lange online zu halten. Gleichzeitig nehmen Hass und Hetze gegen Medienschaffende immer mehr zu. Dennoch, so der Journalist, sei die Hoffnung für unsere Demokratie (noch) nicht verloren. Die Aufgabe von Journalist*innen liege dabei insbesondere darin, Fact-Checking zu betreiben und Zugang zu sicheren und vertrauenswürdigen Quellen zu schaffen, wobei die gezielte Förderung der Medienkompetenz der Rezipient*innen durchaus notwendig bleibe.
Ein besonderes Highlight zum Abschluss des Samstags war für Rezensöhnchenmitglied Kristina das Interview mit Domenico Müllensiefen auf der Leseinsel von ARD/ZDF/3sat, der im Kontext seines aktuellen Roman Schnall Dich an, es geht los… (die dazugehörige Rezension findet ihr in Heft #74) über „den vermeintlich abgehängten Osten“, das Leben in der Altmark und die Etymologie des Wortes „Drehspießverkäufer“ sprach.
von Friederike Brückmann, Victoria Dimeo, Michaela Minder und Kristina Steiner






Bild 1: @Friederike Brückmann, Bild 2 & 3: @Kristina Steiner, Bild 4: @Friederike Brückmann, Bild 5: @Victoria Dimeo, Bild 6: @Michaela Minder (Gespräch mit Karoline Hippe (Übersetzerin) und Oliver Lovrenski (Autor), moderiert von Tilla Fuchs (v. l. n. r.))